(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 3/97) < home RiV >

Starke Menschen statt
starker Staat!

Antwort auf den Beitrag von Heiko Raabe in MHR 2/97

Ich könnte es mir ja einfach machen und erklären, was kümmert mich mein Geschwätz von gestern. Die Sache ist jedoch komplexer. Unmißverständlich möchte ich klarstellen, daß ich nicht bereit bin, die Befürworter einer geschlossenen Heimerziehung zu unterstützen.

Erziehung heißt für mich mit Hartwig von Hentig "Achtung und Hilfe". Achtung vor dem zu erziehenden Individuum mit allen seinen Rechten und Hilfe in Überforderungssituationen. Die Erziehung zu einem verantwortlichen, andere Menschen und die Natur achtenden Mitglied der Gesellschaft ist nicht möglich hinter Gittern. Die Vollzugswirklichkeit wird dem konkreten gesetzlichen Anspruch in keiner Weise gerecht. Erzogen werden soll der Verurteilte gemäß
§ 91 JGG dazu, künftig einen rechtschaffenen und verantwortungsbewußten Lebenswandel zu führen.

Es ist ein Widerspruch in sich, daß hinter Gittern für ein Leben in Freiheit vorbereitet und gelernt werden soll.

Das gilt für den Jugendvollzug ebenso wie für den Aufenthalt in geschlossenen Jugendheimen. Diese Erkenntnis hat seinerzeit bei einigen Jugendrichtern und auch bei mir dazu geführt, sich für die Abschaffung der geschlossenen Jugendheime einzusetzen bzw. ihr zuzustimmen.

Die von Heiko Raabe in seinem Aufsatz "Für einen starken Staat?" gebrachten Zitate stammen aus einem Schreiben, das in diesen Zusammenhang zu stellen ist.

Mit anderen Jugendrichtern war ich seinerzeit der Auffassung, daß 14- und 15-jährige Jugendliche nichts im Jugendvollzug zu suchen haben, weder in der Untersuchungshaft noch in der Strafhaft. Nach der von uns befürworteten Abschaffung der geschlossenen Heime war absehbar, daß gefährdete Jugendliche, die zuvor in der Obhut der Jugendbehörde geblieben waren, nunmehr in die Hände der Justiz geraten und damit in den Jugendanstalten Vierlande oder Hahnöversand landen würden. Dort wären die gerade strafmündig gewordenen Jugendlichen der massiven negativen Einflußnahme älterer Jugendlicher, Heranwachsender und Jungerwachsenen ausgeliefert gewesen. Als schwächste Mitglieder der Knast-Subkultur wären sie allen denkbaren Quälereien ausgesetzt gewesen. Vor allem erfahrene Straftäter bzw. Verdächtige wären die Kontakt- und Identifikationspersonen der möglicherweise noch positiv zu prägenden Jugendlichen geworden. Diese Entwicklung galt es zu verhindern.

Ich hatte damals den Eindruck, daß die im Streit zwischen Gerichten/Staatsanwalt-schaften und der Behörde für Arbeit, Jugend und Soziales von dieser durchgesetzte Abschaffung der geschlossenen Jugendheime auf Kosten dieser Problemgruppe ausgefochten wurde. Über das Schicksal der bis dahin der Jugendbehörde anvertrauten Jugendlichen haben sich die Verantwortlichen der Jugendbehörde keine Gedanken gemacht. Sie waren nicht mehr ihr Problem. Die Justiz hatte außer Knast keine Vorsorge für diesen Personenkreis getroffen. Auf diesen Mißstand habe ich hingewiesen.

Nach wie vor gilt: Vollzug (U-Haft oder Strafvollzug) für Jugendliche ist unter (fast) allen Umständen zu vermeiden, weil er die jungen Menschen weder friedfertiger noch rechtstreuer oder lebensfähiger macht. Die Kriminologie und die anderen Sozialwissenschaften haben alternative Modelle entwickelt. Ich verweise dazu auf die Arbeiten und die öffentlichen Ausführungen meines Hamburger Kollegen Joachim Katz und des Kriminologen Prof. Pfeiffer aus Lüneburg.

Meine Initiative diente der Vermeidung von
U-Haft und Jugendvollzug und befürwortete nicht - wie im Beitrag von Heiko Raabe mißverstanden werden kann - eine geschlossene Heimeinrichtung neben dem Untersuchungs- und Strafvollzug für Jugendliche.

Auch gegenwärtig wäre es zu begrüßen, wenn die U-Haft und der Jugendstrafvollzug bei 14- und 15-jährigen durch die Betreuung in pädagogisch geführten Jugendheimen ersetzt werden würde. Dabei dürfte Freiheitsentzug nur als Übergangslösung zur Vorbereitung von Erziehungsmaßnahmen in Freiheit akzeptiert werden. Gewarnt werden muß davor, zusätzliche Möglichkeiten gesicherter Unterbringung zu schaffen. Das würde die vielfältigen Ansätze ambulanter Betreuung gefährdeter Jugendlicher reduzieren. Außerdem bestände die Gefahr, daß eine Sicherheitsverwahrung für sog. unverbesserliche Jugendliche entstehen würde.

Bernd Hahnfeld