(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/97) < home RiV >
Das oben berührte Thema ist beileibe keine "Hamburgensie". Weil es vielmehr allenthalben Unruhe schafft, hat sich auch der Deutsche Richterbund jüngst dazu geäußert, und zwar wie folgt:
Presseerklärung des DRiB vom 19.09.1997:
DRB: Die Strafjustiz arbeitet
engagiert und verantwortungsbewußt
In der gegenwärtigen öffentlichen Diskussion über den Zustand der inneren Sicherheit in Deutschland wird - speziell von Bundesinnenminister Kanther - der Justiz immer wieder vorgehalten, sie erfülle ihren "Sicherheitsauftrag" nicht; sie arbeite zu langsam und strafe zu milde.

Der Deutsche Richterbund weist diese Kritik entschieden zurück. Trotz ihrer hohen Belastung erfüllen die Strafgerichte ihre Aufgaben verantwortungsbewußt und mit großem Einsatz.

Es ist ihre Aufgabe, in einem streng rechtsförmlichen Verfahren im Einzelfall darüber zu entscheiden, ob ein bestimmtes Verhalten gegen geltendes Recht verstößt und welche Sanktionen gegebenenfalls dafür auszusprechen sind. Dabei sind stets alle Umstände des zur Entscheidung anstehenden Falles zu berücksichtigen. Beim Strafausspruch ist die individuelle Schuld des Täters die maßgebliche Entscheidungsgrundlage. Erst danach sind Gesichtspunkte der Generalprävention ("Abschreckung") in Betracht zu ziehen.

Die beharrliche Verwendung des Begriffs "Sicherheitsauftrag der Justiz" verwischt diese Differenzierung. Durch sie wird der Eindruck erweckt, als sei es die vorrangige Aufgabe der Strafgerichte, durch harte Strafen "Sicherheit zu schaffen".

Der pauschale Vorwurf, "die Justiz" schöpfe die gesetzlich vorgegebenen Strafrahmen nicht hinreichend aus - sie sei "zu lasch" -, ist in jeder Hinsicht inakzeptabel. So hat die Bundesregierung selbst in ihrer Antwort vom 23. Juli 1997 auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion "Jugendstrafrecht und Präventionsstrategien" (BT-Drucks. 13/8284) festgestellt, "daß der aktuelle Anstieg (der Jugendkriminalität) nicht auf ein vermeintlich zu mildes strafrechtliches Vorgehen zurückgeführt werden kann" (aaO S. 48).

Es mag Einzelfälle geben, in denen der Strafausspruch ein allgemeines Gerechtigkeitsempfinden nicht befriedigt. Angesichts von bundesweit über 800.000 vor Gericht verhandelten erstinstanzlichen Strafverfahren (1995) kann das nicht ausgeschlossen werden. Das Gesamtbild einer angemessen judizierenden Strafgerichtsbarkeit vermag dies aber nicht zu beeinträchtigen.

Der Deutsche Richterbund kritisiert allerdings, daß in der gegenwärtigen Diskussion Einzelfälle teilweise bis zur Unkenntlichkeit verkürzt oder in sonst effektheischender Weise dargestellt werden. Auf diese Weise wird - gewollt oder ungewollt - der Öffentlichkeit ein Zerrbild der Justiz vermittelt.

Die Strafjustiz ist schließlich auch nicht zu langsam: Die durchschnittliche Dauer eines Strafverfahrens vor dem Amtsgericht (dort werden 98 % aller Verfahren entschieden) lag 1995 bei 4,4 Monaten. Mehr als die Hälfte dieser Verfahren (53,3 %) wurde sogar in weniger als drei Monaten abgeschlossen (Quelle: Statistisches Bundesamt).