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 Zwei Rüpelszenen
MHR 3/84

1. Dr. F., Abg. (NSDAP) - fortfahrend:

"Was uns veranlaßt, in diesem Augenblick zur Geschäftsordnung zu sprechen, ist ein neuer Skandalfall, der uns soeben telegraphisch zugegangen ist: "Gegen drei Nationalsozialisten, die sich in gerechter Notwehr befanden ..., beantragt der Staatsanwalt soeben Zuchthaus von
7 bis 10 Jahren".

(Rufe bei der NSDAP: "Unerhört! - Pfui! - Wie heißt der Staatsanwalt! -

"Das werden wir noch feststellen, die Namen merken wir uns ja alle ...").

K., Abg. (NSDAP):

"Der lächerliche Preußische Richterverein würde verdammt schnell schweigen, wenn wir seine Mitglieder einmal der berechtigten Wut der breiten Massen preisgäben. Leute wie Schmitz, Sigert und Ohnesorge (Anm.: Strafrichter) schänden bewußt das deutsche Recht. Der Lump Stenig ist ein niederträchtiger Provokateur. Im Teuteburger Wald haben die Germanen den römischen Richtern die Zunge herausgerissen und ihnen zugerufen: "Jetzt zische, Natter, wenn du kannst! ..." (Stürmischer Beifall der NSDAP).

Der Staatsrat, der gegen die Amnestie (Anm.: für politischen Mord; eine Amnestie, die übrigens von Nazis und KPD im Ergebnis einträchtig propagiert wurde) Einspruch erhoben hat, ist nur eine Leichenkammer von 1929. Entweder geht heute die Amnestie durch, oder der Landtag fliegt auf."

(Erneuter stürmischer Beifall bei der NSDAP- Justizminister Dr. Schmidt versucht, gegen die Tonart der Ausführungen des Abg. K. zu protestieren, wird aber niedergeschrieen. Präsident Kerrl hebt die Sitzung auf).

2. "..., so sage ich, dieser Dritte Strafsenat hat dem Vorsitzenden B. und dem Berichterstatter Dr. M. hat jede Brüsierung und jede Beleidigung verdient (Glocke ...) ... Ich muß sagen, daß ich dies (erg.: das Urteil, das letztlich Anlaß der Debatte war) für ein haltloses Schandurteil halte ... Dieses Gericht ... ist ein Gericht von kalten Kriegern und Reaktionären, bei dem H.G. (scil.: der Angeklagte) von vornherein keine Chance hatte (Glocke ...)".

Die Sentenzen zu Ziffer 1. sind den Protokollen des Preußischen Landtags entnommen 1) ; es ist Dr. Freisler (NSDAP), der in der Sitzung vom 25. Mai 1932 seinen Genossen versichert, mit den namentlich festgestellten Staatsanwälten dereinst abzurechnen, das andere Zitat stammt aus der Debatte vom 8. Juli 1932, der Redner ist Kube (NSDAP).

Die andere Richterbeschimpfung (Ziffer 2.) mag man im Protokoll der Hamburger Bürgerschaft vom 4. April 1984 nachlesen und aus ihm ergänzen. Der Redner kommt aus der GAL-Fraktion, und von dorther ertönt auch der Beifall. Die Sitzung vom 8. Juli 1932 war die letzte des Preußischen Landtags; knapp zwei Wochen darauf folgte Papens Preußenschlag; dann kamen die Nazis, und damit war der "Schluß der Debatte" besiegelt. So erscheint der Tumult vom 8.7.1932 wie die Rüpelszene am Rande einer großen, schier unaufhaltsam abrollenden Tragödie. Unnötig zu sagen, daß sich die zitierten Hamburger Injurien vom 4.4.1984 daneben wie bloße Flegeleien ausnehmen, hervorgetrieben aus Provokationsdrang und Profilierungslust. Und doch sollte der Unterschied im Gewicht nicht darüber täuschen, daß es ein paar gemeinsame Elemente gibt: Institutionenverachtung, Justizhaß und eine maßlos - aggressive Selbstgerechtigkeit. Mit Kritik kann der Richter leben - ja: erst sie ist das Salz in der Suppe. Aber schiere Flegeleien à la GAL: schuldet er es nicht seiner Selbstachtung, dagegen Protest zu erheben? Nein, im Zweifel lohnt das nicht. Nur der Tatbestand muß öffentlich vorgezeigt werden. Den richtigen Vers darauf kann sich ein jeder selbst machen.