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Skandalöse
Kurzsichtigkeit?

Zu MHR 4/1997 S. 29 schreibt uns der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz

Rainer Funke :

Als sowohl politisch als auch inhaltlich für die Insolvenzrechtsreform Mitverantwortlicher habe ich mich mittlerweile damit abgefunden, daß die Unkenrufe zu dieser Reform wohl erst verstummen werden, wenn die Insolvenzordnung in Kraft getreten ist und ihre Bewährungsprobe bestanden hat. Die wenigen Monate bis dahin muß man wohl oder übel auch die schwärzeste Schwarzmalerei und - man mag mir diesen Kalauer nachsehen - selbst Rabenschwarzmalerei ertragen. Standen früher inhaltliche Fragen im Mittelpunkt, so konzentriert sich zur Zeit die Diskussion auf die angeblich horrenden Kosten, die insbesondere durch den gewaltigen Personalmehrbedarf verursacht würden. Zu diesen Schätzungen möchte ich nur am Rande erwähnen, daß sie aus vielerlei Gründen weit übersetzt sind. Unter der Hand wird dies auch von Vertretern der Länder eingeräumt. Dies ist jedoch nicht mein eigentliches Anliegen. Vielmehr will ich kurz darlegen, warum wir die Reform dringend brauchen.

Wenn Herr Raabe mir vorwirft, ich sei in mein "Reformkind verliebt" und könne von ihm nicht lassen, so fasse ich dies zunächst als Kompliment auf, da auch er immerhin einräumt, die Reform sei "schön", Sie ist aber nicht nur schön, sondern für den Wirtschaftsstandort Deutschland unerläßlich. Insofern bedaure ich es zutiefst, daß die Diskussion über den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Reform gerade von den Vertretern der Justiz nur unter dem verengten Blickwinkel der Kostenbelastung der Justizhaushalte geführt wird. Ich kann nur dringend raten, den Blick über diesen doch sehr beschränkten Tellerrand einmal hinaus zu richten.

Angesichts von weit über vier Millionen Arbeitslosen muß alles getan werden, um erhaltenswerte Unternehmen zu retten. Konkursordnung und Vergleichsordnung sind hierzu völlig untauglich. Gegenwärtig kommt es allenfalls zu übertragenden Sanierungen aus der Konkursmasse. Demgegenüber stellt die Insolvenzordnung einen flexiblen Rechtsrahmen zur Insolvenzbewältigung zur Verfügung, der Sanierungen deutlich erleichtern wird.

In Deutschland gibt es derzeit annähernd zwei Millionen überschuldete Haushalte. Nach dem noch geltenden Recht haben diese Menschen keine Perspektive, jemals wieder ein Leben ohne drückende Schuldenlast führen zu können. Es ist in meinen Augen deshalb die soziale Pflicht aller politisch Verantwortlichen, diesem Personenkreis eine Chance zu eröffnen, in absehbarer Zeit wieder aktiv am Wirtschaftsleben teilnehmen zu können. Dies wird mit der Restschuldbefreiung, wie sie in der Insolvenzordnung vorgesehen ist, erreicht. Gleichzeitig wird damit Existenzgründern ein Anreiz gegeben, den Aufbruch in die Selbständigkeit zu wagen. Im Falle ihres wirtschaftlichen Scheiterns besteht mit Inkrafttreten der Insolvenzordnung nicht mehr die Gefahr einer quasi lebenslangen Haftung.

Wenn wir von den Kosten sprechen, so müssen auch die Entlastungseffekte in anderen Bereichen einbezogen werden. Ich denke dabei insbesondere an Personen, die sich nach einer Entschuldung wieder in den Arbeitsprozeß eingliedern und nicht in die Schattenwirtschaft abtauchen oder überhaupt keiner Arbeit mehr nachgehen. Bei einer Gesamtbewertung der finanziellen Auswirkungen muß somit auch die Einsparung an Arbeitslosenhilfe respektive Sozialhilfe berücksichtigt werden, die zu einer deutlichen Entlastung der öffentlichen Kassen beitragen wird. Mittelfristig sind auch die steuerlichen Mehreinnahmen durch die verstärkte Gründung selbständiger Existenzen mit einzubeziehen.

Abschließend bleibt festzuhalten, daß ich die Überschrift des Beitrags von Herrn Raabe durchaus unterstreichen kann. Jedoch würde nach meiner Auffassung vor dem soeben dargestellten Hintergrund die skandalöse Fehlleistung darin bestehen, daß Inkrafttreten der
Insolvenzrechtsreform noch weiter hinauszuschieben.