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Übergabe der Amtsgeschäfte an Frau Senatorin
Peschel-Gutzeit
Seit zwei Tagen bin ich wieder Wissenschaftler - formal betrachtet. Inhaltlich sind meine Gedanken noch bei der Politik - Nachgedanken auf dem Weg zur Nachdenklichkeit, Nachdenklichkeit über die Möglichkeit von Politik, meine Möglichkeit Politik zu gestalten und als Politiker zu leben.
Mein Anspruch war gewesen, auch in der Politik authentisch als Person zu bleiben, nicht in die Rituale des "Als ob" einzutauchen, Empathie in mir zu spüren und bei anderen wahrzunehmen. Über meine vielen Privilegien wollte ich die Unterprivilegierten nicht vergessen. die Außenseiter der Gesellschaft, die das Recht auch dann brauchen, wenn sie es brechen. Die Privilegierten der Gesellschaft - dazu hatte ich in meiner Antrittsrede vor über zwei Jahren auch die unabhängigen Richterinnen und Richter, aber auch die anderen Bediensteten mit einem sicheren Arbeitsplatz gezählt - sie, die Privilegierten, hatte ich zu einer Koalition mit der politischen Spitze der Behörde aufgerufen, zu einer Koalition, die den Schutz der Unabhängigkeit mit einer professionellen Ethik der Verantwortung verbindet.
Unabhängigkeit und Verantwortung - das war der Rahmen für mein Handeln als Politiker, und es muß der Rahmen für das Handeln der Justiz sein. Deshalb hatte ich mir das Wagnis zugetraut und Ihnen zugemutet, eine Reform der Justiz zu beginnen. Die Krise der öffentlichen Haushalte und die Krise der Justiz als Chance einer durchgreifenden Modernisierung, die eine Basis zukünftiger Funktionsfähigkeit schaffen soll.
Die Hamburger Justiz hat sich schneller bewegt als viele für möglich gehalten haben. Die früher verbreitete Pose des unproduktiv Jammernden wirkt zunehmend hohl. Die Haltung des "Packen wir es an" ist ehrlicher und produktiver, und sie hat zur Zeit die Chance, zum Mainstream in der Justiz zu werden. Natürlich sind noch nicht alle überzeugt, aber es sind immer mehr geworden. In wichtigen Teilen der Gerichte, der Staatsanwaltschaft, des Strafvollzuges und der Justizbehörde ist eine Aufbruchstimmung zu spüren, ein Wille, vom Objekt lähmender Resignation zum handelnden Subjekt der Neuerung zu werden. Hamburg ist weiter vorangeschritten auf dem Weg der Modernisierung als jedes andere Bundesland.
Die Weichen der Reform sind gestellt, das Tempo des Reformzuges werden jetzt andere bestimmen. Einen Weg zurück darf es nicht geben. Würde diese Reform scheitern, wäre mehr verpatzt als nur die Modernisierung. Zurück bliebe eine tiefe Spur der Enttäuschung bei den vielen Engagierten, die Kraft in das Reformprojekt investiert haben und die sich - manche nach Zögern - zu der Hoffnung durchgerungen hatten, dies werde nicht wieder eines der vielen gescheiterten Projekte der Justizreform. Das Scheitern würde ein großes Motivationsloch reißen, unter dem die Justiz lange leiden würde.
Natürlich habe ich mit dem Risiko gelebt, die Reform nur zu Beginn begleiten zu dürfen. Um so mehr war ich bemüht, ihr einen konzeptionellen Rahmen und eine durchdachte Struktur zu geben. Es sollte eine Reform aus einem Guß möglich werden - und zwar in den Gerichten, der Staatsanwaltschaft und dem Strafvollzug. Das war und ist ein risikoreiches Unterfangen.
In der Staatsoper nebenan läuft zur Zeit die Oper Ariane et Barbe-Bleue von Paul Dukas. Ariane - richtiger Ariadne - sagt dort einmal: "Alles, was uns erlaubt ist, wird uns nichts Neues lehren". Natürlich ist das kein Aufruf zum Rechtsbruch. Ariadne will die Frauen aus den Fängen des Ritters Blaubart befreien, sie will diejenigen aufrütteln, die sich in ihr Schicksal gefügt haben, die in ihrer Tagesroutine gefangen sind. "Alles, was uns gewohnt ist, wird uns nichts Neues lehren", so kann der Satz für gesetzestreue Juristen abgewandelt werden. Die Krise muß uns Neues lehren, wenn wir nicht zu Dinosauriern der Justizgewährung werden wollen.
Das Motto von Ariadne gilt nicht nur für die Reform der Justizverwaltung. Es gilt auch für die Rechtspolitik allgemein, die sich im Netz der Status quo-Bewahrung verheddert hat. Die Gesetzgebungspolitik findet nicht die Kraft, Schneisen für ein modernes Recht zu schlagen, das die Ideale von Demokratie, Rechts- und Sozialstaatlichkeit unter den gegenwärtig radikal veränderten Rahmenbedingungen verwirklicht. Dem Götzen des Gewohnten, das uns nichts Neues lehrt, huldigen auch Politiker, die ungelöste Probleme der Gesellschaft dem Recht und den Gerichten zuschieben, erst recht, wenn sie dies in populistischer Verzerrung mit Parolen wie "lasch und lau" garnieren und die Gerichte zu Prügelknaben machen wollen. Das Gewohnte werden wir auch im Strafvollzug immer wieder in Frage stellen müssen, wenn wir am Ideal eines humanen Vollzugs auch in Zeiten festhalten wollen, in denen das Gewaltpotential unter den Gefangenen steigt, ethnische Konflikte zu den Alltagskonflikten hinzukommen und die organisierte Kriminalität die Binnenstrukturen unter den Insassen unterwandert.
Auf meinem Weg von den Nachgedanken der Politik zur Nachdenklichkeit des Wissenschaftlers werde ich solche Erfahrungen nicht loslassen. Die großartige Unterstützung, die ich in weiten Teilen der Justiz gefunden habe, wird mir Verpflichtung sein, meine Erfahrungen auszuwerten und mitzuhelfen, Wege zu einer verantwortbaren Zukunft zu finden. Ich werde von der Aufbruchstimmung zehren, die ich hautnah insbesondere bei meinen engsten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erleben durfte, von der gewähren Loyalität, von neugewonnenen Freundschaften. Ich gehe erheblich reicher von Ihnen als ich zu Ihnen gekommen bin. Ich fühle mich reicher, ohne Ihnen etwas genommen zu haben, nämlich reicher an Erfahrungen, an Einblicken, an eigenen Fähigkeiten.
Ich habe in mir und für mich seit längerem gewußt, daß meine Zeit mit Ihnen ungeachtet der vielen Erfolge in diesem Herbst zu Ende gehen würde. Seit einiger Zeit war ich entschieden, im neuen Senat nicht wieder anzutreten - oder besser, allenfalls zu Bedingungen, von denen ich annahm, daß der neue Bürgermeister sie nicht gewähren würde. Ein Gespräch darüber hat es allerdings nicht gegeben. Der neue Bürgermeister weiß, daß ich seine Sparziele teile, aber sein Konsolidierungskonzept im Ansatz für falsch halte, und er hat nicht vergessen, daß ich in den Haushaltsberatungen des Senats hart für die Justiz gekämpft und mich weitgehend gegen den Finanzsenator durchgesetzt habe. Ich habe allerdings Verständnis dafür, daß ein wirklich unabhängiger Senator in einem rot-grünen Bündnis mit vielen potentiellen Konflikten ein Politikrisiko - manche werden es als Sicherheitsrisiko definieren - darstellt.
Letzten Monat habe ich aus dem Radio erfahren, wie es personell an der Spitze der Justiz weitergehen soll. Es gibt offensichtlich keinen Knigge für Personalwechsel in der Politik.
Meiner Fröhlichkeit auch am Ende meiner Amtszeit hat die Kommunikationslosigkeit am Beginn eines neuen Senats keinen Abbruch getan. Ich gehe ja reicher als ich vorher war - übrigens auch mit Erfahrungen aus dem Senat. Und ich gehe dorthin, wo ich gern war und wo ich wieder mit offenen Armen erwartet werde.
Mich hat nur traurig gestimmt, daß Politik immer noch vielfach so abläuft, daß zwischenmenschliche Selbstverständlichkeiten nicht selbstverständlich sind.
Ich habe mich in meiner Zeit als Politiker bemüht, als Mensch authentisch zu bleiben. Ich hoffe, mir ist dies gelungen, soweit nicht, bitte ich um Verzeihung. Mir jedenfalls war es ein Anliegen, für alle offen zu sein, zu allen fair und dort zu helfen, wo ich helfen konnte. Und ich habe mich bis zur letzten Minute bemüht, mit voller Kraft für alle da zu sein, nichts Unangenehmes zu schieben und ein möglichst gut bestelltes Haus zu hinterlassen.
Dies nun übergebe ich Ihnen, liebe
Frau Peschel-Gutzeit. Sie kennen die Justiz, die Justiz kennt Sie. Sie kommen mit neuen Erfahrungen aus Berlin, und Sie kommen - wer hätte das anders erwartet - mit großem Schwung und ungeheurer Vitalität. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg - im Interesse der Justiz, vor allem im Interesse der Menschen, die dort arbeiten und für die die Justiz arbeitet. Schließen aber möchte ich mit dem herzlichen Dank desjenigen, der sich durch Sie alle bereichert weiß.
Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann-Riem