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Leben in China von 1996 bis 1998 -

Ein Erfahrungsbericht

Von Matthias Steinmann haben wir zuletzt in den MHR 1/1998 S. 31 gehört: vom chinesischen Recht mehr im allgemeinen. Hier nun, neben manch’ anderen Beobachtungen aus Nanjing (was übrigens nur eine andere Schreibweise für das uns mehr geläufige "Nanking" - die alte chinesische Hauptstadt - ist), ein paar persönliche Erfahrungen mit der Praxis desselben ...

Wir haben von September 1993 bis Januar 1995 in Nanjing / VR China gelebt. Mein Arbeitsplatz war das Deutsch-Chinesische Institut für Wirtschaftsrecht an der Universität Nanjing, das 1989 zusammen mit der Universität Göttingen errichtet worden war. Im Rahmen einer dreijährigen Ausbildung erwerben chinesische Studenten einen Magister der Universität Göttingen im deutschen Recht. Die Studenten müssen an dem Institut in den ersten beiden Jahren einen BGB-Schein erwerben, der sie berechtigt, mit einem Stipendium der Volkswagenstiftung ein Jahr an der Universität Göttingen zu studieren.

Daneben ist das Institut eine Forschungseinrichtung zum chinesischen Recht. Ziel ist die Vermittlung chinesischen Rechts in Deutschland. Das Institut gibt in Verbindung mit der Deutsch-Chinesischen Juristenvereinigung (DCJV) einen Newsletter heraus, der alle drei Monate über die aktuelle Rechtsentwicklung in der VR China berichtet. Die Broschüre hat zur Zeit etwa einen Umfang von 30 bis 40 Seiten. Es werden chinesisch-, englisch- und deutschsprachige Zeitungen und Zeitschriften über China und chinesisches Recht ausgewertet. Das Institut verfügt neben einer umfangreichen Bibliothek mit Büchern und Zeitschriften zum deutschen Recht auch über zahlreiche Literatur zu China und chinesischem Recht.

Das Institut bietet die große Möglichkeit, deutsches und chinesisches Recht rechtsvergleichend und interkulturell zu vermitteln. Als sich für mich von 1996 bis 1998 noch einmal die Chance bot, an der Universität Nanjing zu arbeiten, habe ich deshalb trotz einiger Bedenken zugegriffen. Die Hamburger Justizbehörde gewährte für diesen Zweck dankenswerterweise noch einmal Urlaub ohne Bezüge.

Veränderte Lebensumstände
in der Stadt Nanjing

Nanjing ist mit seinen großen Baumalleen im Zentrum eine schöne Stadt. Wie fast überall im wohlhabenderen Osten Chinas hat sich das Stadtbild in den letzten Jahren dramatisch verändert. Überall wurden und werden Häuser und Wohnsiedlungen abgerissen, um Straßen zu verbreitern oder Hochhäuser zu bauen. Dieser Bauboom wird auch dadurch begünstigt, daß politische Entscheidungen sehr schnell umgesetzt werden. Menschen müssen häufig innerhalb weniger Tage ihre Wohnungen verlassen, um Platz für Neubauten zu schaffen. Sie werden dann an den Stadtrand umgesiedelt. Die Menschen erfahren dies durch Anschläge an Häuserwänden oder Laternenpfählen. Wer rechtzeitig auszieht oder Plätze räumt, erhält als Entschädigung eine Geldprämie - wie es in diesen Anschlägen heißt.

Diese einschneidenden Entscheidungen werden von den Menschen hingenommen, weil man sie im Ergebnis nicht ändern kann. Man arrangiert sich mit der neuen Situation. Nach unserem Urlaub im letzten Jahr war plötzlich der Obst- und Gemüsehändler verschwunden, der sich auf dem Bürgersteig an einer verkehrsreichen Straße mit einem profitablen Stand eingerichtet hatte. An einer Häuserwand fand ich dann einen Anschlag, in dem alle Anwohner aufgefordert worden waren, innerhalb einer bestimmten Frist Wohnungen und Standplätze zu räumen. Die Straße sollte verbreitert werden. Nach Beendigung der Bauarbeiten tauchte der Händler auf der anderen Straßenseite mit seinem Obst- und Gemüsestand wieder auf. Er hatte dort eine kleine Nische gefunden. An seiner alten Stelle fahren jetzt Fahrrad- und Autofahrer.

Das Leben in Nanjing ist für Ausländer in den letzten Jahren angenehmer und einfacher geworden. Das Lebensmittelangebot hat sich erweitert. Jetzt kann man fast überall Milch und Joghurt kaufen. In einem Restaurant, das im April letzten Jahres von einem deutschen Studenten eröffnet wurde, gibt es täglich Brot, Wurst und Käse zu kaufen. Diese westlichen Lebensmittel sind zwar verhältnismäßig teuer, erleichtern den Alltag mit Kindern aber ungemein. Ihnen ist das chinesische Essen auch nach drei Jahren immer noch sehr fremd. Das tägliche warme Abendessen mit Reis, Gemüse und Fleisch stößt auf wenig Gegenliebe, so daß Brot mit Käse oder Wurst am Wochenende eine willkommene und auch notwendige Abwechslung sind.

Ein Grund für das erweiterte Angebot an westlichen Lebensmitteln ist der Anstieg der ausländischen Gemeinde. Große deutsche Firmen wie BASF, Siemens, Bayer oder Mercedes auch die schwedische Firma Ericsson haben in den letzten Jahren in Nanjing Joint-Venture errichtet, die zum Teil schon produzieren. Auch zahlreiche andere asiatische Länder wie Südkorea und Singapur sind mit Gemeinschaftsunternehmen in Nanjing vertreten. In diesen Firmen arbeiten viele ausländische Experten und Manager, die zum großen Teil mit ihren Familien nach Nanjing kommen und hier in der Regel vier Jahre bleiben. Seit 1995 gibt es zudem eine Internationale Schule: die Nanjing International School (NIS).

Das Leben auf dem Campus
der Universität

Die Universität Nanjing liegt mitten im Zentrum der Stadt und ist umsäumt mit vielen Bäumen und Wiesen. Sie ist aufgeteilt in einen nördlichen und südlichen Campus. Im nördlichen Campus befinden sich die Lehrgebäude, im südlichen Campus die Wohngebäude. Wir leben im Expertengebäude der Universität Nanjing, das sich auf dem südlichen Campus der Universität befindet. In diesem Gebäude sind alle ausländischen Lehrer der Universität untergebracht. Ausländer, die in China arbeiten, werden in der Regel als ausländische Experten (waiguo zhuanjia) bezeichnet, so daß sich für unser Wohnhaus der Begriff "foreign expert building" eingebürgert hat.

Wir leben in einer ca. 60 qm großen Drei-Zimmer-Wohnung. Es gibt warmes Wasser, aber nur, wenn man zuvor mindestens 10 Minuten lang das Wasser hat laufen lassen. Die Heizung wird zentral gesteuert. Dies ist manchmal etwas lästig, weil es häufig warm ist, wenn man keine Wärme benötigt. Umgekehrt läuft die Heizung dann nicht, wenn Bedürfnis nach Wärme besteht. Zur Not hilft dann der Elektroofen. Die Enge in der Wohnung läßt sich ganz gut bewältigen, weil die Familie letztlich nur zu den Mahlzeiten vollständig zusammen versammelt ist.

Die beiden älteren Kinder im Alter von 8 und 6 Jahren besuchen die Nanjing International School. Jeden Morgen werden sie von uns mit dem Fahrrad zum "Schulbus" gebracht. Es handelt sich um eine Buslinie, die die größeren Hotels in Nanjing miteinander verbindet. Er wird von uns als Schulbus benutzt, weil die NIS in unmittelbarer Nähe eines Hotels liegt, die von dem Bus angefahren wird. Die Kinder lieben den Bus nicht besonders, vor allem, weil der Fahrer während der Fahrt hemmungslos und voller Genuß aus dem Fenster spuckt.

Der jüngste Sohn (3 Jahre) geht jeden Vormittag in einen chinesischen Kindergarten, in dem er sich recht wohl fühlt. Manchmal bleibt er sogar den ganzen Tag dort. Es war kein Problem, ihn dort so kurzfristig unterzubringen. Nachdem ich mit der Leiterin des Kindergartens gesprochen hatte, konnte er am nächsten Tag den Kindergarten besuchen. Hier kamen uns möglicherweise unsere guten Beziehungen zu Hilfe, weil unsere Tochter vor vier Jahren während unseres ersten Aufenthaltes den gleichen Kindergarten besucht hatte.

Von allen drei Kindern fühlt sich der Jüngste in China am wohlsten, während die beiden Älteren mehr und mehr auf Distanz zu China und Chinesen gehen. Dies liegt u.a. daran, daß wir auf der Straße mit unseren drei Kindern nach wie vor sehr auffallen. Man wird angestarrt, es wird getuschelt und sehr häufig stürzen wildfremde Menschen auf uns zu, um die Kinder anzufassen. Hierauf reagieren die Kinder zum Teil sehr aggressiv, was wiederum auf Unverständnis stößt. Trotz vieler Gespräche mit chinesischen Freunden konnte ich bisher die Ursache dieses distanzlosen Verhaltens nicht herausfinden. Kinderliebe, Ein-Kind-Politik, hellblonde, blauäugige ausländische Kinder - all dies erklärt meines Erachtens nicht ausreichend den Drang zu einem unmittelbaren körperlichen Kontakt mit unseren Kindern.

China ist auch wegen der vielen Menschen ein lautes Land. Der Verkehr mit seinen unzähligen Autos und Fahrrädern steht nie still. Überall wird gehupt und geklingelt. Die zahlreichen Baustellen, auf denen Tag und Nacht ununterbrochen gearbeitet wird, tun ein übriges. Ein Ort der Stille ist in den frühen Morgenstunden der Campus und Sportplatz der Universität Nanjing, der sich gegen 5 Uhr zu bevölkern beginnt, im Sommer sogar noch früher. Viele Chinesen stehen gerne sehr früh auf, um sich zu bewegen. Um diese Zeit ist die Luft noch klar und im Sommer ist es noch nicht so heiß. Viele Leute drehen ihre Runden, betreiben Gymnastik, Schattenboxen, lassen Drachen steigen oder führen in kleinen Holzkäfigen ihre Vögel aus. Ab 6 Uhr kann auch das Tanzbein geschwungen werden, wenn auf einem asphaltierten Nebenplatz aus einem Kassettenrecorder Musik ertönt. Mit der Ruhe und Stille ist es dann leider vorbei. Gleichwohl strahlt der gesamt Platz eine Atmosphäre der Muße und Gelassenheit aus, die mich jedesmal wieder fasziniert.

Eine Besonderheit ist das Rückwärtslaufen. Viele, vor allem ältere Menschen laufen nicht nur auf dem Sportplatz, sondern über das gesamte Universitätsgelände rückwärts. Das Rückwärtslaufen soll gesund sein, weil das Gleichgewichtsgefühl gestärkt wird und Muskeln beansprucht werden, die beim Vorwärtsgehen vernachlässigt werden. Mehrfache Selbstversuche - auch in den frühen Morgenstunden - haben mir das Rückwärtsgehen nicht näher gebracht. Man kommt sich in diesen Momenten zwar sehr chinesisch vor, aber es bleibt einem doch fremd.

Erfahrungen als Fahrradfahrer
im Straßenverkehr

Ein Phänomen in China ist wegen der mangelnden Disziplin der Verkehr. Fußgänger und Fahrradfahrer sind trotz zunehmenden Autoverkehrs die häufigsten Verkehrsteilnehmer im chinesischen Straßenverkehr. Der ständige Einsatz der Fahrradklingel garantiert in der Regel ein zügiges Fortkommen. Gleichwohl kommt es immer wieder vor, daß man regelrecht in einem Fahrradstau stecken bleibt, weil plötzlich zahlreiche Fußgänger den Fahrradweg blockieren, ein Auto entgegenkommt oder einfach die Masse an Fahrrädern zum Anhalten zwingt.

Auch ich habe mich jetzt an die Undiszipliniertheit im Verkehr gewöhnt. Neulich parkte ich mein Fahrrad auf dem Bürgersteig vor einem Reisebüro, obwohl ich wußte, daß dies ausdrücklich verboten war. Als ich das Reisebüro verließ, warteten an meinem Fahrrad zwei ältere Damen auf mich, die von mir 10 Yuan (ca. 2 DM) an Bußgeld verlangten. Ich fragte nach ihrem Ausweis und der Rechtsgrundlage ihres Vorgehens. Sie zeigten mir ein Papier, die sie als Angestellte des Ordnungsamtes der Stadt Nanjing auswies und eine Liste, auf der die Verkehrsverstöße samt Geldbuße aufgeführt waren. Ich erkannte, daß für meinen Verkehrsverstoß - Parken auf dem Bürgersteig - nur 5 Yuan als Buße vorgesehen war und protestierte. Nach einem längeren Disput einigten wir uns schließlich auf 5 Yuan, die ich als rechtstreuer Bürger auch bezahlen wollte. Im Gegenzug sollte ich eine rot gestempelte Quittung erhalten.

Plötzlich erschien die Besitzerin des Fahrrades, das neben mir im Parkverbot geparkt hatte. Als sie gerade unbehelligt davon fahren wollte, erhob ich Einspruch. Ich sah nicht ein, allein die Folgen eines Parkverbotes zu tragen. Zu meiner Überraschung betonten alle drei Frauen, daß die Geldbuße schon bezahlt worden sei. Ich entgegnete, daß ich dies eben nicht beobachtet hätte. Die Geldbuße sei schon am Beginn des Falschparkens bezahlt worden, lautete daraufhin die Antwort. Als ich jetzt die Quittung sehen wollte, hieß es, diese habe man bereits weggeschmissen. Dies war nun offensichtlich eine Schutzbehauptung. Eine Quittung wirft man nicht wegen, wenn man doch im Parkverbot steht.

Jedenfalls war ich jetzt nicht mehr bereit, die Geldbuße zu bezahlen, nachdem die andere Fahrradfahrerin letztlich ohne Geldbuße davon gekommen war. Mich wollten die beiden Frauen jedoch nicht ziehen lassen. Ich begab mich deshalb zurück in das Reisebüro und schilderte meinen Fall und bat als guter Kunde um Hilfe. Gemeinsam mit dem Vertreter des Reisebüros redeten wir anschließend auf die beiden Frau ein und konnten sie schließlich überzeugen. Ich entschuldigte mich und versprach, das nächste Mal mein Fahrrad nicht im Parkverbot zu parken und fuhr davon.

Natürlich hätte ich die Geldbuße auch bezahlen können. Allerdings hatte ich von Anfang an das Gefühl, daß ich hier als Ausländer über den Tisch gezogen werden sollte. Und dies wollte ich mir nicht gefallen lassen und habe meine persönlichen Beziehungen zum Reisebüro genutzt, um aus der Situation ohne Geldbuße herauszukommen. Dieses Beispiel zeigt aber auch, daß die Vollstreckung von Recht und Gesetz noch sehr unvollkommen ist und persönliche Beziehungen im Zweifel wichtiger sind als geschriebenes Recht.

Rechtslage und Rechtswirklichkeit
in Nanjing

Im Januar dieses Jahres ist leider ein Mißgeschick passiert. Es stellte sich bei der Beantragung eines neuen Einreisevisums heraus, daß ich seit September 1997 in Nanjing ohne Aufenthaltserlaubnis lebte. Dies stellt nach chinesischem Recht eine Ordnungswidrigkeit dar, die u.a. mit einer Geldbuße von bis zu 5.000 Yuan (ca. 1000 DM) geahndet werden kann. Meine Einheit (danwei) - die Universität Nanjing - hatte versäumt, rechtzeitig für mich eine Aufenthaltserlaubnis zu beantragen. Ich hatte mich fahrlässigerweise (und ganz chinesisch) auf die Auskunft meiner Einheit verlassen, nach der mit meiner Aufenthaltserlaubnis alles in Ordnung sei. Nach der Anhörung bei der Polizei sollte ich eine Geldbuße in Höhe von 5.000 Yuan bezahlen. Die Höchststrafe erkläre sich daraus, so der zuständige Beamte, daß ich über drei Monate ohne Aufenthaltserlaubnis in Nanjing gelebt hatte. Ich bat um Bedenkzeit, die mir gewährt wurde. Allerdings wurde mir gesagt, daß ich ohne Zahlung der Buße China nicht würde verlassen können, geschweige denn wieder zurückkehren. Spätestens am Flughafen in Beijing würde ich die Buße bezahlen müssen.

Ich schaltete jetzt meine Einheit ein, weil nach meiner Auffassung sie die Verantwortung für meine Ordnungswidrigkeit trug. Es ist die Aufgabe des Auslandsamtes der Universität, dafür zu sorgen, daß alle ausländischen Experten der Universität eine ordnungsgemäße Aufenthaltserlaubnis erhalten. Ein Anruf des Leiters des Auslandsamtes der Universität Nanjing führte schließlich dazu, daß die Geldbuße auf 3.000 Yuan herabgesetzt wurde. Ich war jetzt bereit, diese Summe zu bezahlen, weil mir in dieser Situation nichts anderes übrig blieb.

Allerdings dürfen nach dem chinesischen Ordnungswidrigkeitengesetz aus dem Jahre 1996 die Behörden, die Geldbußen verhängen, nicht zugleich die Geldbußen kassieren. Eine Verordnung der chinesischen Regierung von November 1997, die seit dem 01.01.1998 in Kraft ist, hat diesen Grundsatz jetzt konkretisiert. Hiernach sollen Geldbußen grundsätzlich bei den Banken gegen Quittung bezahlt werden.

Als ich am 20.01.1998 beim Ordnungsamt erschien, um die Art und Weise der Bußgeldzahlung zu besprechen und um ein Einreisevisum zu beantragen, wollte der Beamte von mir 3.000 Yuan kassieren. Ich weigerte mich und wies ihn auf die neue Verordnung hin, die ich vorsorglich in Kopie mitgebracht hatte. Es stellte sich heraus, daß er die Verordnung nicht kannte. Er wandte sich daraufhin telefonisch an eine rechtskundige Person in der Rechtsabteilung der Behörde. Anschließend teilte man mir mit, daß diese neue Verordnung in Nanjing noch nicht gelte. China sei ein großes Land, so daß es unmöglich sei, derartige Verordnungen so schnell umzusetzen. Außerdem sei es für den Bürger doch sehr lästig, allein wegen einer Geldbuße zu einer Bank zu fahren. Dieser zwingenden Argumentation konnte ich mich schließlich nicht entziehen, so daß ich die Geldbuße von 3.000 Yuan bezahlte. Schließlich wollte ich zwei Tage später China verlassen und benötigte noch ein Wiedereinreisevisum.

Dieses Erlebnis zeigt zweierlei: Das chinesische System der Verwaltungsstrafen ist sehr effizient, weil die Geldbuße unabhängig von der Rechtskraft des Bußgeldbescheides sofort bezahlt werden muß. Dies entspricht der Rechtslage. Hätte ich mich geweigert, die Geldbuße zu bezahlen, wäre mein Aufenthalt in China beendet gewesen. Hieran hatte ich nicht den geringsten Zweifel. Auf der anderen Seite zeigt der Vorfall, daß der Umgang mit Recht und Gesetz offenbar noch sehr ungewohnt ist und im Zweifel sehr pragmatisch, d.h. situationsbezogen ausgelegt und angewendet wird.

Fazit

Wie die aufgeführten Beispiele zeigen, ist die VR China eine Gesellschaft im Auf- und Umbruch. Die politische Entscheidung der VR China aus dem Jahre 1978, die Volksrepublik unter der Führung der Kommunistischen Partei wirtschaftlich zu modernisieren, hat das Leben der Menschen nachhaltig verändert. Den meisten Menschen geht es gegenwärtig wirtschaftlich so gut wie nie zuvor. Sie haben mehr und mehr die Möglichkeit, ihr Leben unabhängig von staatlicher Gängelung selbst zu organisieren. Dies gilt zumindest für die östlichen Küstenprovinzen Chinas.

Der Modernisierungsprozeß ist noch lange nicht abgeschlossen, viele Probleme gerade im Umweltbereich und im sozialen Bereich sind noch ungelöst. Es ist jedoch bisher gelungen, die wirtschaftliche Modernisierung eines Volkes mit einer Bevölkerung von 1,3 Milliarden Menschen ohne Verelendungs- und Auflösungstendenzen voranzutreiben. Dies gebietet meines Erachtens bei aller berechtigten Kritik im Einzelfall doch Respekt.

Matthias Steinmann