Der damalige Justizsenator Hoffmann-Riem hielt am 21.02.1996 vor dem Hamburgischen Richterverein einen Vortrag, den er anschließend in JZ 1997, 1 ff., veröffentlichte. Ausweislich der Fußnote zum Aufsatz half ihm bei der Herstellung der Referendar Martin Eifert, der zudem Mitarbeiter in der von Hoffmann-Riem geleiteten Forschungsstelle Recht und Innovation (CeRI) ist. Dies wäre nicht sonderlich erwähnenswert, wenn Herr Eifert nicht seinerseits einen Aufsatz über die Modernisierung der Gerichtsverwaltung veröffentlicht hätte, der aufmerken läßt (Die Verwaltung, Bd. 30, 1997, S. 75). Beide Autoren nehmen unkritisch aufeinander Bezug unter jeweiligem Hinweis auf demnächstiges Erscheinen des jeweils anderen Aufsatzes.
Das Vorstehende, der Detailreichtum des Aufsatzes von Eifert sowie das Anliegen des Aufsatzes von Hoffmann-Riem lassen stark befürchten, daß die anderenfalls als abstrus abtubaren Ansichten des Referendars von Hoffmann-Riem geteilt werden.
Hoffmann-Riem selber stellt in seinem Aufsatz die "Frage":
"Muß die von den Gerichten verwaltete Gerechtigkeit nicht so umdefiniert werden, daß es um das Ziel geht, ein gerechtes Ergebnis mit dem geringstmöglichen Einsatz von Mittel zu erreichen, da andernfalls andere wichtige Staatsaufgaben zu kurz kommen?" (S. 7)
Auch wenn Hoffmann-Riem die Antwort nicht gleich gibt, braucht man das "Ja" nicht erst aus der Frageart zu vermuten, denn wenige Absätze weiter heißt es:
"Rechtsgewährung droht zum 'knappen Gut' zu werden, bei dessen Verteilung der Effizienzgedanke und Gerechtigkeitserwägungen sich wechselseitig anreichern müssen." (S. 8)
Dabei sollen hier die Erwägungen Hoffmann-Riems darüber nicht erörtert werden, daß es nur eine "relative Wahrheit" in den Gerichten geben könne, die "situationsabhängig" sei - wie die Frage in den 70er Jahren nach einer Klassenjustiz zeige - (S. 2), und daß Hoffmann-Riem daraus anscheinend den Schluß zieht, die Wahrheit sei auch von der jetzigen Haushaltslage des Staates abhängig und zwar auch hier in einem der reichsten Länder der Erde und zwar auch heute, wo der Justizhaushalt nur ca. 3 % des Gesamthaushaltes beträgt.
Bestürzend wird es jedoch dann, wenn der Referendar Eifert in seinem Aufsatz zeigt, wie die Justizbehörde es unternimmt, diese halb philosophischen Ausführungen des Senators in die harte Budgetierungswirklichkeit zu übertragen. Hier einige Auszüge:
"Die Budgetzuteilung von der Behörde an die Gerichte muß in den Gerichten Anschluß finden an interne Regelkreise der Weiterverteilung bis zur Ebene der 'Produzenten' hinunter" (S. 84).
Damit ist eine Budgetierung auf Dezernatsebene gemeint; dabei sei der richterliche und der nichtrichterliche Bereich zusammenzufassen (S. 80, 91); sprich: der Richter "haftet" finanziell mit seiner Ausstattung für die Fehler seiner Geschäftsstelle mit und umgekehrt.
Bis hinunter auf die Dezernatsebene könnten "Investitionskredite" vergeben werden in der Form übermäßiger Mittelinanspruchnahme bei späterer Rückzahlung (S. 89, 92); die Gerichte trügen dann das "Investitionsrisiko" (S. 89). Es sei die deswegen
"zu erwartende ungleiche Ausstattung der Produktionseinheiten (Dezernate; der Verf.) unproblematisch. Denn der Richter muß sich wegen der Begrenztheit der Mittel grundsätzlich damit begnügen, daß er bei der Zuteilung in ermessensfehlerfreier Weise berücksichtigt wird. Erst eine hier nicht gegebene willkürliche Behandlung oder eine totale Vorenthaltung unabdingbarer Ausstattungserfordernisse könnten die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigen." (S. 93)
Der positive materielle Anreiz an den Richter zur Effizienzsteigerung berühre seine Unabhängigkeit nicht (S. 93). Im Hinblick auf diese Stelle dürften die in Fn. 36 angeregten "Änderungen des Besoldungsrechts in Richtung auf ein Bonussystem als Ergänzung zum Gehalt" wohl auch für die Richter gemeint sein.
Diesen Aufsatz unterstützt - nach den gegenseitigen Zitaten zu urteilen - der seinerzeit zuständige Justizsenator, der neuerdings nicht müde wird, die richterliche Unabhängigkeit als in "Deformation" befindliches "Mittel der Besitzstandswahrung" zu bezeichnen. Soweit die Unabhängigkeit im Einzelfall zu Unrecht in Anspruch genommen worden wäre, um Reformen zu blockieren, hätte Hoffmann-Riem als Justizsenator die Macht gehabt, dem Einhalt zu gebieten. Konkrete Fälle hat Hoffmann-Riem jedoch nicht benannt, in denen die Unabhängigkeit nur vorgeschoben wurde, um sachdienliche Veränderungen zu vermeiden.
Nicht jede Berufung auf die Unabhängigkeit ist bloß vorgeschoben, nur weil sie der Verwirklichung einzelner Teile der Ideen von Hoffmann-Riem im Wege steht.
Wolfgang Hirth