(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 3/98) < home RiV >
Wasch mir den Pelz - aber mach mich nicht naß! Das paßt offensichtlich nicht zusammen. Niemand würde auf die Idee kommen, an ein solches Projekt auch nur eine Arbeitsgruppe, geschweige denn ein ganzes Regierungsprogramm zu verschwenden.
Es sei denn, ein Unternehmensberater vermittelte die Idee, zum Zwecke des Projekts könne man einfach mal unterstellen, der Pelzträger sei nicht mehr lebendig - wirkt er doch ohnehin ziemlich müde und wenig leistungsfähig. Damit wäre der Weg eröffnet zur chemischen, zur Trockenreinigung...
Für ähnlich tot wird in Hamburg offenbar die Richterschaft gehalten. Sonst würde sie nicht seit nunmehr zwei Jahren mit dem Experiment "Neues Steuerungsmodell" überzogen, das ebenfalls Unvereinbares zusammenführen soll, nämlich die Steuerung, d.h. Fremdbestimmung, des unabhängigen, d.h. nicht zu beeinflussenden Richters.
Namentlich um diesen Widerspruch mußten jüngst die Autoren in dem "Handbuch zum Controlling der Justiz" ("...von der Projektgruppe ProBudget der Justizbehörde und des Amtsgerichts Hamburg Mitte und von hauser, furch & partner Unternehmensberatung...") herumschreiben. Keine beneidenswerte Aufgabe.
Gleichwohl verdient dieses Werk größte Aufmerksamkeit, weil es die bislang konkreteste Aussage der Justizbehörde zur Umsetzung des Neuen Steuerungsmodells (NSM) auf ein Gericht ist. Zudem lassen sich diesem Handbuch einige Indizien zum weiteren Vorgehen der Justizbehörde bei der Durchsetzung ihrer Ziele gegenüber den Gerichten entnehmen. Das ProBudget-Papier ist - im Falle seiner Realisierung - der bislang wirksamste Sprengsatz der Justizbehörde gegen die "überkommenen Strukturen" der Gerichte. Die bisherige weitgehende Abschirmung der rechtsprechenden Bereiche gegen die Justizverwaltungshierarchie würde ausgetauscht gegen ein System, mit dem die Gerichtspräsidenten einen scheinbaren, geringfügigen Autonomiegewinn erzielen würde - um den Preis der Einbindung der Spruchkörper in ein Steuerungssystem, das auf nach ökonomischen Maßstäben beurteilte Leistung ausgerichtet ist. Statt Mittel zur Erfüllung verfassungskräftig als wichtig anerkannter Aufgaben verlangen zu können, müßten die Gerichte sich künftig ihr Geld durch Produktion "verdienen" und mit "guten" Kosten- und Leistungsdaten in den Wettstreit um die Gunst des Haushaltsgesetzgebers (genauer: der Finanzbehörde) eintreten. Allein schon das angestrebte Controlling-System würde es der Justizbehörde ermöglichen, auf den bis vor kurzem gewünschten Gerichtsmanager als verlängerten Arm in die Gerichte hinein zu verzichten. (Dazu sogleich eine Klarstellung: Die beliebte Belehrung, "Controlling ist nicht gleichzusetzen mit Kontrolle" ist genauso richtig wie irreführend; Controlling ist mehr als Kontrolle, umfaßt sie aber selbstverständlich.)
Der eindrücklichste Beleg für diese zunächst möglicherweise überzogen klingenden Deutungen und Wertungen ist das "Handbuch" selbst, dessen Lektüre zu empfehlen ist.
Welches Konzept dort entworfen wird, kann hier nur skizziert werden:
Das Controlling-Konzept zielt nicht isoliert auf eine Controllingorganisation, sondern insgesamt auf die Einführung des Neuen Steuerungsmodells in den Gerichten. Es benennt als Anknüpfungspunkt für steuernde Eingriffe das "Produkt" bzw. den "Produktionsprozeß". "Produkte" sind die gerichtlichen Verfahren, deren Durchführung in der Hand der Richter liegt. Für die Verfahren eines Typs (z.B. Mieteverfahren (S. 31)) soll der gesamte in Kosten ausgedrückte Bearbeitungsaufwand mit einheitlichen "Fallkostenpauschalen", die "...man mit Pflegesätzen im Gesundheitswesen vergleichen..." (S. 13) könne, festgesetzt werden. Auf diese Weise wird für alle kostenrelevanten richterlichen Entscheidungen und Handlungen in ihrer Summe ein Standardwert vorgegeben.
Diese Fallkostenpauschalen multipliziert mit der vorgesehenen Zahl der Verfahren je Verfahrensart ergeben das Jahresbudget, aus dem sämtliche Kosten der Einheit zu decken sind. Als budgetierte Einheit sind nicht nur die Gerichte, sondern darunter, konkreter, auch die Dezernate (des Amtsgerichts) vorgesehen. Bis hinab auf dieselbe Ebene reicht die Controllingorganisation, die darüber hinaus - in einer sogenannten Ausbaustufe des Systems, in der man von Schätzungen auf exakte Daten übergehen will - insbesondere laufend bei jedem einzelnen Mitarbeiter die Arbeitszeiten je Tätigkeit erfassen soll (S. 38). Insgesamt besteht die Aufgabe des Controlling darin, die Einhaltung der Leistungsverabredung zu überwachen, d.h. den Selbststeuerungsmechanismus der Budgetierung abzusichern, sowie weiter in der "* Koordination der Planungen der Gerichte, Mitarbeit bei der Erarbeitung von Alternativen * Aufbereitung der vorgelegten Daten für die Gesamtplanung und Abstimmung der Teilziele und Teilpläne mit der Gesamtplanung der Justizbehörde ... * Erarbeitung von einheitlichen Kriterien bei der Berichterstellung und Überwachung der Einhaltung * Erkennen "schwacher Signale" bei strategisch wichtigen Entwicklungen, Analyse von Ergebnisabweichungen, Diskussion der Ergebnisse mit den verantwortlichen Stellen, Aufzeigen von Alternativen, Empfehlungen zur Gegensteuerung * Erstellen von Vergleichen innerhalb und außerhalb der Hamburger Justiz, Aufzeigen von Schwachstellen in den Gerichten, Anregungen für Verbesserungen im internen Ablauf ..."(S. 57). Das sogenannte strategische Controlling soll insbesondere die rechtspolitischen Entscheidungen unterstützen, etwa "... die verstärkte Ressourcenausstattung von Bereichen mit hoher rechtspolitischer Bedeutung (z.B. Wirtschaftsstrafsachen, organisierte Kriminalität, Betreuung der Gefangenen, kostenmäßige Auswirkungen einzelner Vollzugskonzepte, z.B. offener / geschlossener Vollzug)" (S. 17).
Dem Controller sollen umfassende Kompetenzen eingeräumt werden: "Damit das Controlling diese Aufgabe übernehmen kann, benötigt es ein hohes Maß an Akzeptanz sowohl seitens der Justizbehörde als auch seitens der Gerichte. Diese Akzeptanz stützt sich zum einen auf die Persönlichkeit des Controllers, zum anderen auf seine Kompetenzen und zwar sowohl im Hinblick auf seine Fachkompetenz als auch auf die Rolle bei der Vorbereitung von Entscheidungen. Zu den Kompetenzen des Controllers muß es gehören, Angelegenheiten, die seinen Arbeitsbereich betreffen, selbst zu organisieren. Insbesondere in der Aufbauphase des Controlling muß der Controller die Möglichkeit haben, die Instrumente des Controlling, wie insbesondere die Ausgestaltung des Berichtswesens der Gerichte, zu gestalten. Damit er seine Vorstellungen auch umsetzen kann, sind ihm entsprechende Entscheidungskompetenzen zu gewähren; so muß der Controller z.B. gegenüber den Gerichten die Informationen anfordern können, die er für seine Zwecke benötigt. Dazu kann auch gehören, daß der Controller das Recht hat, die Gerichte bei kritischen Entwicklungen in ihrem Hause, zum Beispiel dem Überschreiten einer zuvor festgelegten kritischen Marke, zum Handeln aufzufordern, eigene Vorschläge zu unterbreiten und die Beseitigung von - z.B. im Rahmen von Sonderuntersuchungen festgestellten - Unwirtschaftlichkeiten zu verlangen." (S. 57). Die Controllingorganisation sieht Controller auf drei Ebenen (Justizbehörde, Gericht, Dezernat) vor; dabei soll auch das gerichtsinterne Controlling bei einer "Zentralen Steuerungsstelle" der Justizbehörde angebunden werden (S. 56).
Die tatsächlichen und rechtlichen Probleme dieses Konzeptes klingen in dem Handbuch zwar teilweise an, werden aber nicht gelöst.
So ist das in Ermangelung einer Kosten- und Leistungsrechnung vorgesehene, mit Schätzungen arbeitende Grundkonzept nach eigenem Eingeständnis nicht für ein Controlling mit der zunächst angepriesenen Leistungskraft tauglich: "... Da z.Zt. noch keine Kostenrechnung eingeführt ist, müssen die Kosten in einem vereinfachten Verfahren zugeordnet werden. Daher dürfte es nicht immer ganz leicht sein, überzeugende Argumente für die erforderliche Höhe zu finden. Eine genaue Kalkulation fehlt also." (S. 35). Die auf exaktere Daten abzielende Ausbaustufe ist so aufwendig (Erfassungsaufwand im rechnerischen Gegenwert von mindestens 1 Arbeitskraft je 100 überwachte Personen), daß sich hier erst recht die Kosten-Nutzen-Frage stellt. Denn auch dieser Ansatz ist nach eigener Einschätzung nachhaltig defizitär: "Bei beiden Modellen sind Wirkungs- und Qualitätsbezüge unberücksichtigt geblieben. Dabei geschieht nun die differenziertere Erfassung der Kapazitätsdaten nicht nur, um interne Effizienzreserven aufzudecken und die Budgetplanung bzw. -steuerung zu verbessern, sondern Kapazitätsdaten sind immer auch im Zusammenhang mit der erreichten Erfüllung der Sicherstellung der Gewährung von Rechtsschutz und Herstellung von Rechtssicherheit zu sehen. Je besser dargelegt werden kann, welche Zusammenhänge zwischen einer Ausstattung mit Ressourcen und einem bestimmten Ergebnis bestehen (z.B. hinsichtlich der Verfahrensdauer), desto stärker entfalten die ergebnisorientierten Steuerungssysteme eine Wirkung nach außen. Im Hinblick auf die strategische Steuerung der Justiz könnte langfristig überlegt werden, auch Wirkungen und Qualitäten mit in die Analyse einzubeziehen." (S. 45/ 46)
Warum dies trotz der selbst betonten Erforderlichkeit erst langfristig überlegt werden muß, bleibt unerfindlich.
Geradewegs ärgerlich aber ist die Anmaßung und der Affront gegenüber bisherigen Generationen von Gerichtsleitungen, welcher darin liegt, überhaupt erst dem neuen Controlling-System die Analysekompetenz zuzuschreiben, die erforderlich ist, um sinnvolle organisatorische Veränderungen namentlich im nicht-richterlichen Bereich zu ermitteln. Dabei stützen sich die skizzierten Veränderungen (Abbau der Arbeitsteilung) wesentlich auf langjährige Überlegungen, namentlich aus dem Erkenntnisbestand der Untersuchungen zur Strukturanalyse der Rechtspflege; im übrigen ist auch nicht ersichtlich, wie gerade das Zahlenwerk des ergebnisorientierten Berichtswesens verläßlich Aufschluß über die zutreffende Gewichtung der vielfältigen und zusammenwirkenden Ursachen geben sollte.
Die Effizienz des Reformsystems ist schließlich deshalb fraglich, weil wegen des hohen Anteils langfristig unveränderlicher Kosten (wichtigstes Beispiel: Personalkosten) der Spielraum für Rationalisierungsgewinne von vornherein sehr gering ist. Wahrscheinlich haben die Autoren dies auch nicht verkannt: "Es können nämlich häufig bestimmte Merkmale identifiziert werden, die ein Verfahren z. T. erheblich verteuern können. Dies können z.B. verfahrenstypische Besonderheiten, wie der hohe Papierbedarf bei vordruckintensiven Verfahren sein. Der hohe Bücherei- und Literaturbedarf bestimmter Gerichte, bei deren Verfahrenstypen häufig Gesetzesänderungen stattfinden, ist ein anderes typisches Beispiel." (S. 15). Für das Controlling hieße dies übrigens, daß zwecks exakter Zuordnung zu den Verfahrenstypen in jedem einzelnen Fall - zunächst für die Fallkostenpauschalberechnung und für die dauernde Steuerung auch laufend - die verwendeten Papierbögen gezählt bzw. die von dem Richter gelesenen, geprüften oder verwendeten Gesetzesfassungen erhoben werden müßten. Die Verfügungsmasse würde erst dann größer, wenn auch die "Auslagen in Rechtssachen" und die Einnahmen in das Steuerungssystem einbezogen würden; hierzu wird aber behauptet, das sei nicht geplant (S. 33). Dieser Ausschluß wird allerdings nicht konsequent durchgehalten, denn eben diese Positionen werden an anderer Stelle wiederholt als Gegenstand des Controlling aufgeführt ("Dolmetscherkosten", "Kosten-deckungsgrad").
Entscheidend aber ist das ungelöste Problem der richterlichen Unabhängigkeit. Diese soll vorgeblich dadurch beachtet werden, daß die Richter nicht formell auf bestimmte Erledigungszahlen verpflichtet werden und die Präsidenten für das auf eine bestimmte Zahl von Erledigungen kalkulierte Budget im Gegenzug nur zu einer insoweit formell unverbindlichen "Leistungsverabredung" angehalten werden.
Materiell wird diese Unverbindlichkeit jedoch dadurch umgangen, daß eine Verfehlung der angestrebten Erledigungszahlen Controlling-eingriffe rechtfertigen soll. Wie sehr auch schon mit dem Erfordernis der Budgetplanung in die richterliche Unabhängigkeit eingegriffen werden kann, zeigt besonders deutlich das Vorhaben, einzelne Verfahren, bei denen der Aufwand absehbar deutlich von dem durchschnittlichen Aufwand (des Verfahrenstyps) abweichen wird (Beispiel: überjähriges Strafverfahren), jeweils einzeln zu budgetieren (S. 32). Hier wird also der Spruchkörper seine Vorstellungen von der Verfahrensführung mit dem Budgetgeber abstimmen und bei Abweichungen nachverhandeln müssen. Nicht viel anders liegt es der Sache nach bei den "normalen" Fällen, die durch die Fallkostenpauschalen erfaßt und von dem allgemeinen Budget umfaßt sind: Auch hier wird das Recht des Richters zu unabhängiger, weisungsfreier Verfahrensführung und -entscheidung mißachtet, indem er in eine Struktur eingebunden wird, die die Orientierung an einer letztlich behördlichen Kostenvorgabe jedenfalls zu einer kollegialen Solidaritätspflicht erhebt - denn die Mittel, die der einzelne, unabhängig von der Fallkostenpauschale agierende Richter verbraucht, gehen zu Lasten des Gesamtbudgets und damit der Kollegenschaft.
Im Kleinen wird diese Wirkungsweise übrigens wohl schon bald bei der JURIS-Nutzung zu beobachten sein, wenn hier Einzelpreise abgerechnet werden und jedes Gericht, orientiert an der Kopfzahl der Nutzer, hierfür ein Budget erhält. Würde dann jeder Nutzer nicht automatisch bei Erreichen seiner Kopfteilsumme von JURIS abgekoppelt, sondern würden nur Richtwerte vorgegeben, so wäre der Mechanismus der Selbststeuerung - jedenfalls dann, wenn durch veröffentlichte Nutzungsdaten Transparenz geschaffen würde - vergleichbar. Wer nicht die Solidarität mit den Kollegen öffentlich aufkündigen will, wird, gleich wie unabweisbar sein Bedarf ist, alles daran setzen, seinen Kopfteil nicht zu überschreiten. Denn die Unabweisbarkeit des Mehrbedarfs gegenüber allen Kollegen nachvollziehbar darzulegen, ist praktisch unmöglich
und würde vor allem als unzumutbare Belastung empfunden, der gegenüber ein anderer (meist zeitlich aufwendigerer) Rechercheweg - oder der Verzicht auf die Recherche - vorzugswürdig erscheint.
Dieses Steuerungssystem kann seine Rechtfertigung auch offensichtlich nicht in der "Beobachtungsfunktion" der Dienstaufsicht finden; es ist auf verhaltenslenkende Wirkung angelegt, und zwar auf eine Priorisierung ökonomischer Anliegen, und geht in seiner intendierten Wirkkraft weit über die dienstaufsichtsrechtlichen "Vorhalte" bzw. "Ermahnungen" hinaus.
Das Handbuch zum Controlling der Justiz - das erklärtermaßen für die gesamte Justiz Geltung beansprucht - markiert einen wichtigen Schritt zur Durchsetzung eines scheinbar auf Controlling beschränkten Konzeptes, das tatsächlich umfassende Veränderungen bedingt und hervorruft. Diese Veränderungen sind vorgesehen, obwohl ihre Grundlagen, ihre grundsätzliche Zulässigkeit und ihre Effizienz, also die Fragen nicht geklärt sind, die beispielsweise durch den Richtervereinsvorsitzenden (vgl. Raabe, Budgetierung - Klappe: Die Zweite, MHR 98-1) und den Vorsitzenden des Deutschen Richterbundes (vgl. Voss, Kostencontrolling und richterliche Unabhängigkeit oder Neues Steuerungsmodell contra unabhängige Rechtsprechung, DRiZ 1998, 379 ff.) aufgeworfen worden sind. Auch die Präsidenten der Hamburger Gerichte (im Zuständigkeitsbereich der Justizbehörde) haben in ihrer gemeinsamen Stellungnahme gegenüber dem Rechtsausschuß der Bürgerschaft zum Erfordernis eines Gerichtsmanagers (vom 28. 8. d.J.) betont, daß es den Gerichten angesichts der strikten Bindung an Recht und Gesetz nicht gestattet ist, "eine an Kosten-Nutzen-Rechnungen orientierte Qualitätsveränderung ihrer Produkte vorzunehmen" und damit einem Neuen Steuerungsmodell im Sinne des Controlling-Handbuches eine Absage erteilt.
Dennoch scheint die Karawane weiterzuziehen. Der Haushaltsplan 1999 jedenfalls nimmt die Einführung des Neuen Steuerungsmodells bereits vorweg und sieht beispielsweise für die Gerichte schon ausdrücklich Plan-Kennzahlen für die Qualität der richterlichen Arbeit sowie für den Erledigungs-Output vor.
Gerichtsleitungen, Richterverein und Richterräte sollten also dringend überprüfen, ob vornehme Fragen noch ausreichen - in der Bürgerschaft und in der Justizbehörde scheint das Bewußtsein, daß die Gerichte nachgeordnete Produktionsbetriebe sind, nämlich längst etabliert. Die hier angestrebte politische Fungibilität der Gerichtstätigkeit führt die Gerichte unmittelbar in die Aufgeregtheiten des politischen Tagesgeschäfts hinein. Für die Gerichtsleitungen darf namentlich die Hoffnung, vorübergehend ein paar Silberlinge für die Verwaltung loszueisen und ein paar zu unproduktive Richter aktivieren zu können, nicht den Verzicht auf die tragenden rechtsstaatlichen Grundsätze rechtfertigen. Ihnen drohte sonst mittelfristig wohl auch die größte Belastung: Erweist sich die Richterschaft, wie teilweise prognostiziert, als resistent gegenüber überzogenen Sparverpflichtungen und kostenorientierter Steuerung, dann werden es die Gerichtsleitungen sein, die am meisten unter dem neuen System zu leiden haben. Sie werden dann zwischen dem Steuerungsanspruch von "oben" und dem Unabhängigkeitsanspruch von "unten" aufgerieben.
Michael Bertram