Ulrich Vultejus ist den MHR-Lesern auch aufgrund seiner Artikel in den letzten MHR’s ( MHR 4/98 und MHR 3/98) bekannt. Er selbst kommt "aus dem Inneren der Justiz", denn er war von 1952 bis 1992 als Richter in Niedersachsen tätig: Proberichter bei 20 verschiedenen Gerichten und Staatsanwaltschaften, 9 Jahre Landgericht in Hildesheim, kurzfristig Hilfsrichter am OLG, 9 Jahre Oberamtsrichter in Bad Harzburg und zugleich Vorstand der dortigen Jugendarrestanstalt für Mädchen, von 1976 bis 1992 stellv. Direktor des AG Hildesheim. Honorarprofessor wurde er aufgrund seiner Lehraufträge von 1965 bis 1998 an mehreren Fachhochschulen. Er trägt den Fritz-Baur-Preis. Er ist verheiratet und hat eine Tochter.
Die Nachrichten seines Buches kommen nicht immer aus dem Inneren der Justiz. Viele stammen aus dem Umfeld der Justiz; manche auch das nicht (Friedenstaube von Picasso). Das tut dem Buch jedoch ebensowenig Abbruch, wie der Umstand, dass Vultejus selbst im Zentrum des Buches steht. Er tut weder das eine noch das andere zur Selbstdarstellung, sondern um an seinem Beispiel zu zeigen, dass ein Richter nicht mit Scheuklappen durch die Welt laufen sollte, sondern vielseitig interessiert sein sollte. Und so hat das Buch mit seinen 41 Kapiteln eine riesige Palette an Themen, die notgedrungen auf dem engen Raum nicht immer tiefgehend behandelt werden können. Man findet Rechtsgeschichtliches ebenso wie Aktuellstes aus dem Erscheinungsjahr. Von seiner eigenen Person über Berufliches bis zu Abstraktem, Philosophisches ebenso wie Praktisches, Humorvolles und Lehrbuchhaftes (Darstellung europäischer Institutionen), Reisebeschreibungen und noch mehr ist enthalten.
Viele Personalia gibt es insbesondere aus der Nachkriegszeit der niedersächsischen Justiz. Soweit dabei aus der NS-Zeit "vorbelastete" Juristen in einzelnen Fällen positiv dargestellt werden, erscheint dies unverdächtig angesichts der sonstigen Einstellungen von Vultejus.
Zentrales Anliegen von Vultejus ist die Bewahrung der Menschlichkeit in der Richtertätigkeit.
Bei allem persönlichen Engagement läuft Vultejus jedoch manchmal Gefahr, bei Kollegen, die seinen Maßstäben nicht gerecht werden, an die Grenze zu unerlaubten Tiefschlägen zu geraten (die Kapitel über Heusinger und Offenloch).
Die Lebensnähe seiner eigenen "kleinen" Fälle der Amtsrichterzeit zeigen Vultejus von einer anderen Seite, als man sie von seinen wichtigen Aufsätzen her kennt. Meistens schneiden die Angeklagten vom erzeugten Image her besser ab als die Schöffen, Verteidiger, Kollegen und Obrigkeiten. Wer jedoch von Vultejus als "praxisgerecht" eingestufte Entscheidungen auf allzeitige juristische Subsumierbarkeit prüfen will, der sollte diese Kapitel überspringen.
Nicht so ganz klar ist, wie weit Vultejus zu gehen bereits ist mit seiner Ansicht, im Prozess bekannt gewordene Straftaten nicht den Behörden zu melden, um das Vertrauen der Bürger in die Richter und ihre Verschwiegenheit nicht zu gefährden.
Ihm als überzeugtem Amtsrichter werden die übrigen Amtsrichter es sicher nicht übelnehmen, wenn er ausführt, das Unvermögen jedes Staates, Amtsrichter gleichzuschalten, beruhe darauf, dass Amtsrichter zwar dumm, aber störrisch seien; viele Seiten später bietet er als andere Ursache für die besondere innere Unabhängigkeit an, dass ein Amtsrichter kaum echte Beförderungschancen habe.
Provokant und den vielen von mir hier sog. "wirklich" guten Juristen nicht gerecht werdend, kritisiert Vultejus den "guten Juristen im herkömmlichen Sinne". Als Denkanstoß oder Erinnerung ist dieses Kapitel jedoch allemal geeignet.
Wirklich hervorragend finde ich das Kapitel über "die Kunst, kein Querulant zu sein". Vielleicht ist es auch deshalb so gut gelungen, weil Vultejus selbst immer wieder erfahren mußte, was es heißt, gegen den Strom zu schwimmen. Aus neuerer Zeit erinnere ich an die wütenden Reaktionen der Betroffenen auf seine Artikel zum Parteibuch bei Richtern und zu den unterschiedlichen Leistungen der Landesjustizminister.
Das was ich mir ursprünglich unter dem Titel "aus dem Inneren der Justiz" vorgestellt hatte, beginnt mit dem "langen Weg zum Direktor", in dem es u.a. um Personalauswahl und Motivation der Kollegen geht. Seine wiederholt eingestreuten Ansichten zur Selbstverwaltung der Gerichte (die übrigens auch auf dem nächsten Richtertag diskutiert wird), will ich hier nicht wiederholen (vgl. Vultejus MHR 3/98, 21).
Erneut so richtig intern wird’s im Kapitel über den 1992 verstorbenen Werner Holtfort, zu dem er ein gutes Verhältnis hatte und dessen Stiftung sein Buch förderte. Insbesondere überraschte mich als zuvor Unwissenden die Abneigung Vultejus‘ gegen Rudolf Wassermann.
Durch den flüssigen Schreibstil Vultejus‘ ist das Buch sehr gut lesbar.
Wolfgang Hirth