(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 3/99) < home RiV >
Justiz und Internet
– ein Widerspruch? -

Man wirft der Justiz nicht nur gelegentlich vor, sie sei innovationsfeindlich und beratungsresistent. Dass dieser Vorwurf nicht – oder jedenfalls nicht immer – gerechtfertigt ist, will das Finanzgericht Hamburg mit einem Feldversuch verdeutlichen, der in Zusammenarbeit mit der Hamburger Steuerberaterkammer, der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer, der DATEV, der Firma herbert dahm systemverwaltung und – nicht zuletzt – der Hamburger Steuer- und Zollverwaltung durchgeführt wird.

Ein am PC des Beraters gefertigter Schriftsatz sollte auf einem möglichst schnellen, personal- und sachmittelsparenden und dennoch sicheren Weg zum Gericht transportiert werden. Die optimale Lösung des Problems bieten weder Post- noch Nachtbriefkasten, sondern das Internet und e-mail. Diese Kommunikationsform der Zukunft, die sich in Quantensprüngen entwickelt und nicht nur bei jüngeren Menschen den Briefverkehr abgelöst hat, muss für den Rechtsverkehr nutzbar gemacht werden. Denn eine Justiz, die im Dienst des Bürgers steht, sollte dem Bürger die Kommunikationsformen, die er nutzt, auch für den Verkehr mit den Gerichten zur Verfügung stellen.

Der Feldversuch sieht folgenden Ablauf vor: Der Berater sendet per Mausklick seinen PC-Schriftsatz an das Finanzgericht Hamburg. Steuergeheimnis und Datenschutz gebieten, dass der Schriftsatz verschlüsselt wird. Die Lösung dafür und die erforderliche digitale Signatur des Absenders bieten die DATEV mit der Software Gerva, einer Smartcard und einem Kartenlesegerät. Der dafür erforderliche finanzielle Aufwand für den Berater ist minimal.

Im Finanzgericht wird der Schriftsatz in der Posteingangsstelle entschlüsselt, an die zuständige Geschäftsstelle mittels internem Netz weitergeleitet, die speichert, einträgt und auf den PC des zuständigen Richters sendet. Dieser bearbeitet das Schriftstück mit Hilfe einer von der Firma herbert dahm entwickelten Software ebenfalls elektronisch und sendet es mit elektronischer Verfügung an die Geschäftsstelle zurück, die es per e-mail an die Finanzverwaltung weiterleitet.

Für Berater, Finanzverwaltung und Gericht verringern sich Kosten für Porto und Formulare sowie Personalkosten für Transport und Poststelle.

Zudem ergeben sich für das Finanzgericht Hamburg weitere Vorteile:

Das Rechtsproblem des Schriftlichkeitsgebots gemäß § 64 FGO wird durch den Gemeinsamen Senat der Obersten Bundesgerichte hoffentlich im Sinne der Entscheidungen des Bundessozialgerichts (NJW 1997, 1254) und Bundesverwaltungsgerichts (NJW 1995, 2121) gelöst werden (dagegen BGH BB 1999, 656) mit der Vorlage an den Senat. Auch das Bundesjustizministerium wird – wie man hört - in naher Zukunft einen Referentenentwurf zur Änderung der Prozessordnungen vorlegen; zudem wird derzeit eine Richtlinie zur digitalen Signatur von der EG erarbeitet. Übergangsweise werden im Feldversuch allerdings (nur) die Klagschrift und bestimmende Schriftsätze parallel gefaxt, damit das Haftungsrisiko der Berater beseitigt wird.

Der erste Schritt zum Aufbruch der Gerichte in das Zeitalter des Internets ist getan. Weitere Schritte werden folgen, und es gehört nicht sonderlich viel Phantasie zu der Vorstellung, dass in naher Zukunft die Kommunikation mit dem Gericht über e-mail ähnlich problemlos erfolgen kann wie heute mit Boten, Post oder Fax.

Jutta Drühmel