(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 3/99) < home RiV >
Zum 50. Geburtstag des Finanzgerichts ist eine Festschrift erschienen, aus der wir mit freundlicher Erlaubnis der Autorin Corinna Kögel den Beitrag über die Geschichte des Finanzgerichts abdrucken. In diesem Heft finden Sie den ersten Teil. Die Fortsetzung folgt in Heft 4/99.
 
 
50 Jahre Finanzgericht

Die Bundesrepublik Deutschland hat im Mai 1999 ihr fünfzigjähriges Jubiläum gefeiert. Auch für das Finanzgericht Hamburg ist ein halbes Jahrhundert seit Aufnahme seiner Tätigkeit vergangen.

Am 26. August 1949 fand die erste Sitzung des Finanzgerichts Hamburg statt. Es tagte die für Zollsachen zuständige III. Kammer mit zwei Berufsrichtern und drei ehrenamtlichen Richtern. Verhandelt wurden uns heute fern scheinende Fälle, u.a. eine Tabaksteuersache, die sich mit dem Zigarettenschwarzmarkthandel innerhalb der verschiedenen Besatzungszonen zu befassen hatte und eine Umsatzsteuerausgleichssache, der die Fragestellung zugrundelag, inwieweit sich die Währungsreform vom 20.6.1948 – die Umrechnung von RM in DM - auf die Bemessungsgrundlage auswirke.

Diesem Beginn der Tätigkeit eines Finanzgerichtes nach dem Kriege war eine wechselhafte Zeit des Rechtsschutzes in Steuersachen vorausgegangen (I) und folgte eine Periode stetiger Sensibilisierung für die Unabhängigkeit der Rechtsprechung und für die Verbesserung des Rechtsschutzes für die Bürger (II).

Das Finanzgericht in Hamburg spiegelt die Entwicklung vom Gericht im Schatten der Finanzverwaltung zum unabhängigen, modernen bürgerfreundlichen Gericht wider (IIII).

I. Die Entwicklung der Finanzgerichtsbarkeit bis 1946
Bereits im alten Deutschen Reich gab es einen Rechtsschutz in Verwaltungssachen, dessen Gewährung allerdings den ordentlichen Gerichten zustand. Die Einsetzung des Reichskammergerichts 1495 war der Versuch, eine öffentliche Gewalt zur Erhaltung des Rechtsfriedens zu organisieren. Eine Verwaltungsjustiz im Gegensatz zur Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte blieb dem Reichsrecht aber fremd.

Die Rechtsprechung der Landesgerichte war eine Kabinettsjustiz, eine echte Trennung von Verwaltung und Gerichtsbarkeit war noch nicht vollzogen . Durch die vornehmlich in den süddeutschen Staaten praktizierte sog. Administrativjustiz wurde die Nachprüfung von Verwaltungsakten als eine Art Hausgerichtsbarkeit aus dem Bereich der Justizsachen herausgenommen. Die Verwaltungsbehörden entschieden selbst über die Rechtsbeschwerden gegen Akte der Verwaltungsbehörden. Die Reichsverfassung von 1849 entschied sich nach heftigen Debatten mehrheitlich für die sog. justizstaatliche Lösung. Sie sah die Aufhebung dieser Administrativjustiz und die Zuweisung an die ordentlichen Gerichte vor.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts setzte sich zunehmend die Einsicht durch, daß nur – unabhängige – Verwaltungsgerichte eine sachgerechte Entscheidung von Verwaltungsstreitigkeiten gewährleisten könnten und so wurden vereinzelt selbstständige Verwaltungsgerichte errichtet.

In Süddeutschland – mit Ausnahme von Baden - bestanden dabei die unteren Instanzen nur aus Verwaltungsbeamten, während in Preußen auch ehrenamtliche Richter tätig wurden. Als unabhängige Gerichte ausgestaltet waren nur die jeweils höheren Instanzen, in Preußen und anderen nördlichen Staaten die Oberverwaltungsgerichte, in Süddeutschland die Verwaltungsgerichtshöfe.

Das preußisches Gesetz vom 1.5.1851 zur Einführung einer Klassen- und klassifizierten Einkommensteuer sah die Entscheidung durch Verwaltungsinstanzen – Steuerdirektion, Finanzministerium – vor. In der ersten Rechtsmittelinstanz war die –allerdings gutachterliche - Mitwirkung einer aus Laien zusammengesetzten Kommission vorgesehen. Durch die Laienbeteiligung sollte der Gefahr der Fiskalität entgegengewirkt werden.

Allgemein etablierten sich in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts als erste Rechtsmittelinstanz von der Gemeindevertretung gewählte Kommissionen, die mehrheitlich aus Laien bestanden.

Mit der Einrichtung von Verwaltungsgerichten, zunächst des Verwaltungsgerichts-hofes in Baden (durch Gesetz vom 5.10.1863 ) und in der Folgezeit in anderen Ländern, wurde diesen die letztinstanzliche Zuständigkeit in Steuersachen zugewiesen. Damit war den Überlegungen – auch den Entwürfen der Miquel´schen Steuerreform – für die Einrichtung eines besonderen Steuergerichtshofes eine Absage erteilt worden. Die Ressortierung zum Oberverwaltungsgericht (OVG) wurde letztlich vorgezogen, weil die Besetzung eines Steuergerichtshofes mit nebenamtlich tätigen Mitgliedern von Verwaltungs- und Zivilgerichten, insbesondere aber auch des Finanzministeriums, für die Gewährleistung des Rechtsschutzes nicht als ausreichend angesehen wurde.

Das Deutsche Reich hatte zunächst die Zölle und Verbrauchssteuern für sich reklamiert. Mit den Finanzreformen 1906, 1909 und 1913 wuchs die Zahl der Reichssteuern. Der gesteigerte Finanzbedarf des ersten Weltkrieges führte zur Vermehrung der Reichssteuern durch Kriegsabgaben. Da die Reichssteuern von den Landesbehörden verwaltet wurden, waren die in den Ländern bestehenden Rechtsmittelinstanzen i.d.R. auch für die Reichssteuern zuständig. Wegen der zivilrechtlichen Berührungspunkte waren die Erbschaftsteuer und die Besteuerung des Personen- und Güterfernverkehrs dem ordentlichen Rechtsweg zugewiesen.

Mit der großen Steuerreform 1918 wurde ein weitausgreifendes, eine einheitliche Verwaltung erfordendes Steuerprogramm vorgelegt. Insbesondere die Umsatzsteuer sollte zu einer großen, die Wirtschaft beeinflussenden Veranlagungssteuer ausgestaltet werden. Dabei wurden Zweifel laut, ob die Ausführung in der Hand der Landesbehörden nicht zu Unregelmäßigkeiten führen würde und das Bedürfnis wurde deutlich, Ungleichmäßigkeiten in der Handhabung der Reichssteuern zu vermeiden. Letztlich ging aus diesen Beratungen des Umsatzsteuergesetzes der Reichsfinanzhof ( -RFH-) hervor, getragen von dem Wunsch, die bestehende Zersplitterung gerichtlicher Zuständigkeiten in Steuersachen zu beseitigen und künftig auszuschliessen. Durch Gesetz über die Errichtung eines RFH v. 26.7.1918 wurde der RFH zum 1.10.1918 errichtet. Die entsprechenden Vorschriften wurden später in die am 13.12.1919 verabschiedete Reichsabgabenordnung (RAO) übernommen. Die RAO regelte nun auch das Rechtsmittelverfahren reichseinheitlich.

Im Zuge der großen Finanzreform 1919/1920 wurde die Zuständigkeit des RFH über Besitz- und Verkehrsteuern sowie Kohlesteuer auf alle Steuern einschließlich Verbrauchsabgaben und Zölle erweitert. Damit war ein über den bisher auf Landesebene zuständigen höchsten Rechtsmittelinstanzen angesiedeltes einheitliches Rechtskontrollorgan in Reichssteuersachen geschaffen. Die Mitglieder des RFH wurden vom Reichspräsidenten auf Lebenszeit ernannt und mindestens die Hälfte von ihnen mußte die Befähigung zum Richteramt haben. Auf diese Weise wurde auch Finanzbeamten und Personen mit volks- und betriebswirtschaftlicher Vorbildung der Zugang zum Richteramt eröffnet.

Gleichwohl blieb die Rechtsschutzgewährung auch nach Einführung der Reichsfinanzverwaltung unvollkommen und unbefriedigend, weil Finanzgerichte fehlten. In den meisten Teilen des Reichs, wie in Preußen, waren die bisher nach Landesrecht bestehenden, verschieden zusammengesetzten und unter verschiedenen Bedingungen entstandenen Kollegien als Berufungsinstanz tätig.

Bei Inkrafttreten der RAO am 23.12.1919 fehlten noch weitgehend die organisatorischen und personellen Voraussetzungen für die Errichtung von Finanzgerichten.

Durch Übergangsregelungen wurde diesem Mißstand Rechnung getragen. Die VO über die Bildung von Finanzgerichten v. 5.8.1921 beendete den unbefriedegenden Zustand der Übergangszeit. Ab April 1922 konnten Finanzgerichte ihre Tätigkeit aufnehmen.

Diese Finanzgerichte waren keine selbstständigen Behörden, sondern den Landesfinanzämtern, - in Hamburg dem Landesfinanzamt Unterelbe - , angegliedert. Diesen oblag die allgemeine Dienstaufsicht über den äußerlichen Geschäftsbetrieb. An der Spitze des Finanzgerichts stand der vom Reichsminister der Finanzen bestellte Vorsitzende, der der Dienstaufsicht des Landesfinanzamtspräsidenten unterstand. Er war von allen Verwaltungsgeschäften befreit und unabhängig in seiner geschäftsleitenden und richterlichen Betätigung. Diese Trennung wurde allerdings nicht überall vollzogen : Bei kleineren Landesfinanzämtern, wie z.B. Bremen oder Oldenburg, war der Gerichtspräsident zugleich Präsident der Abteilungen für Besitz- und Verkehrsteuern. Eine Trennung wurde auch grundsätzlich nicht unbedingt als notwendig angesehen. Für eine völlige Unabhängigkeit fehlte es zudem an der Unabsetzbarkeit, denn der Vorsitzende wurde aus den Mitgliedern des Landesfinanzamtes und für die Dauer seines Hauptamtes bestellt. Ferner mangelte es an der Unversetzbarkeit.

Bei den Finanzgerichten wurden Kammern gebildet, in denen mit drei ehrenamtlichen und zwei ständigen Mitgliedern das Laienelement überwog.

Die ständigen Mitglieder wurden ebenfalls vom Reichsminister der Finanzen ernannt. Auch sie waren ab- und versetzbar. Neben ihrer richterlichen Tätigkeit waren sie zugleich noch Referenten des Landesfinanzamtes. Dies entsprach dem Grundsatz, daß das Rechtsmittelverfahren in Steuersachen seinem Wesen nach eine Fortführung des Steuerfestsetzungs- und Veranlagungsverfahrens war. Einem ordentlichen Richter entsprach dies nicht. Schon frühzeitig wurde es als im Einzelfall unerträglich kritisiert, daß die Richter als Mitglieder des Landesfinanzamtes den Verwaltungsanordnungen des Reichsfinanzministers , des Präsidenten des Landesfinanzamtes und ihrer eigenen Steuerabteilung unterworfen waren. Weiter geschwächt war die Stellung der Richter dadurch, daß der Präsident des Gerichts Vorsitzender sämtlicher Kammern war und in dem üblichen Fall seiner Vertretung durch das zweite ständige Mitglied des Spruchkörpers diesen jederzeit ausschalten und die Sache an sich ziehen konnte.

Bevor die Finanzgerichte angerufen werden konnten, mussten Ausschüsse mit der Sache befasst werden. Es bestanden Steuerausschüsse bei den Finanzämtern, ab 1925 auch Grundwertausschüsse, Gewerbe- und Oberbewertungsausschüsse, die aus Verwaltungsbeamten und Laien zusammengesetzt waren und über Einsprüche gegen Steuerbescheide und Bewertungen zu befinden hatten.

Das Rechtsmittelverfahren nach der RAO war in erster Linie ein erweitertes Veranlagungs- und Festsetzungsverfahren, durchsetzt mit Einschlägen aus dem Verwaltungsstreitverfahren. Die Finanzgerichtsbarkeit wurde als Instrument der objektiven Rechtmässigkeitskontrolle angesehen.

Zuständig waren die Finanzgerichte für die Berufung gegen Einspruchsentschei-dungen des Finanzamtes in Steuersachen (§ 218 i.V.m. § 217 Nr.1 RAO) und gegen Bescheide des Landesfinanzamtes erster Instanz über Erstattungs- und Vergütungsansprüche, die aus Rechtsgründen zugelassen war. Ferner wurden sie im Beschwerdeverfahren tätig betreffend Verfügungen der Finanzbehörden, die nicht Steuerbescheide waren. Eine Generalklausel, die dem Bürger umfassenden Rechtsschutz gegen Massnahmen der Finanzverwaltungsbehörden gewährt hätte, hielt man nicht für erforderlich.

Die Zuständigkeit der Landesfinanzämter beschränkte sich demgemäß vornehmlich auf Entscheidungen über Erstattungs- und Vergütungsansprüche , über Beschwerden gegen Verfügungen des Finanzamtes, die nicht mit der Berufung anfechtbar waren, sowie über Beschwerden gegen die Höhe einer Schätzung.

Bestrebungen zu einer Reform der Finanzgerichtsbarkeit –z.B. zur Verwirklichung der Forderung nach einer durchgängigen Trennung zwischen veranlagender und rechtsprechender Tätigkeit - fanden naturgemäß z.Zt. des Nationalszialismus ihr Ende.

Mit Führererlaß über die Vereinfachung der Verwaltung vom 28.8.1939 wurden die Finanzgerichte im Zuge kriegsbedingter Vereinfachung der gesamten Verwaltung dadurch abgeschafft, daß an die Stelle des Berufungsverfahrens das bis dahin nur für Zölle und Verbrauchsteuern geltende Anfechtungsverfahren trat. Dieses sah im Gegensatz zum Berufungsverfahren eine Anrufung des Finanzgerichts nicht vor, sondern nur eine Entscheidung des Landesfinanzamtes. Die Finanzgerichte wurden zu "Anfechtungsabteilungen" unter der Leitung des Oberfinanzpräsidenten. Sie durften die Rechtsbeschwerde gegen ihre Entscheidungen nur zulassen in Sachen grundsätzlicher Bedeutung oder wegen besonderer Umstände des Einzelfalls. Damit bestimmte die Finanzverwaltung selbst, welche Sachen zum RFH gelangen sollten, der im übrigen – anders als die Finanzgerichte - äußerlich unverändert bis 1945 fortbestand.

Corina Kögel