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Veranstaltungsreihe Europarecht

„Eurojust – koordinierte Strafverfolgung in Europa

 

Der Hamburger Richterverein und der Info-Point Europa in Hamburg setzten am 25. November 2004 ihre gemeinsame Veranstaltungsreihe „Europarecht“ mit einem Abend zum Thema „Eurojust - Koordinierte Strafverfolgung in Europa“ im Plenarsaal des Oberlandesgerichts fort. Im Mittelpunkt des Interesses stand damit ein derzeit besonders aktueller Themenbereich: Die zunehmende Zusammenarbeit auf europäischer Ebene im Bereich Justiz und Inneres. Der Präsident des Hamburgischen Verfassungsgerichts und des Hanseatischen Oberlandesgerichts Wilhelm Rapp veranschaulichte vorab in seiner Begrüßungsansprache den steigenden Einfluss des Europarechts auf das deutsche Strafrecht. Erst vor zwei Tagen habe der 1. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts die Auslieferung eines syrischen und deutschen Staatsangehörigen an die Regierung des Königreichs Spanien zur Strafverfolgung für rechtlich zulässig befunden.[1] Bemerkenswert an dieser Entscheidung sei, dass damit erstmalig ein Europäischer Haftbefehl[2] vollzogen wurde.

MR Detlef Wasser aus dem Bundesministerium der Justiz in Berlin begann seinen Vortrag mit der Feststellung, dass nur eine grenzüberschreitende Kriminalitätsbekämpfung der ansteigenden organisierten Kriminalität in Europa Herr werden könne; offene Grenzen führten zu einer „europäischen“, d.h. zusehends mobiler werdenden Kriminalität. Das traditionelle Mittel der justitiellen Zusammenarbeit - die internationale Rechtshilfe - schaffe trotz Fortschritten der letzten Jahre hier nur geringe Abhilfe. Nach wie vor bestünden zu viele, teils unübersichtliche und vor allem zeitintensive Regelungsmodelle in diesem Bereich. Drei verschiedene Ansätze zur Beschleunigung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit seien allerdings denkbar. Einen ersten Weg, die Harmonisierung des materiellen Straf- und Prozessrechts der einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, hielt Wasser jedoch für nur begrenzt begehbar. Aufgrund der Verschiedenheit der nationalen Systeme sei nur eine punktuelle Angleichung, etwa im Bereich der Terrorismusbekämpfung, erreichbar. Auch die gegenseitige Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen sah er als zweiten Ausweg zumindest für die nähere bis mittlere Zukunft als wenig erfolgversprechend an. Das hierzu notwendige Vertrauen in die Rechtsordnungen anderer Staaten müsse erst mit der Zeit wachsen; die im strafrechtlichen Schrifttum über den Europäischen Haftbefehl geführte Diskussion (Stichwort: „forum shopping“) belege dies. Als Lösungsweg der Gegenwart bliebe es somit bei der Schaffung von Einrichtungen der Europäischen Union auf dem Gebiet der justitiellen Zusammenarbeit. Hierzu gehöre neben dem Europäischen Polizeiamt (Europol)[3], dem Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF)[4] sowie dem Europäischen Justiziellen Netz[5] vor allem Eurojust.[6]

Im Fortgang seines Vortrages stellte Wasser die Entstehung, die Aufgaben und den Zuständigkeitsbereich von Eurojust vor. Ins Leben gerufen durch den Beschluss des Europäischen Rats von Tampere im Jahre 1999, hatten die Staats- und Regierungschefs anlässlich der Regierungskonferenz von Nizza im Dezember 2000 als zweiten Schritt zur Schaffung von Eurojust beschlossen, eine Beschreibung seiner Aufgaben in Artikel 31 des EU-Vertrages festzuschreiben. Eurojust soll danach in Strafsachen zur Erleichterung und Beschleunigung der Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Ministerien und den Justizbehörden oder entsprechenden Behörden der Mitgliedstaaten beitragen. Bereits im März des Folgejahres nahm Pro-Eurojust als Vorläuferorganisation seine Arbeit in Brüssel auf. Aus dieser Zeit stammt nach Aussage von Wasser die noch heute Eurojust kennzeichnende pragmatische Arbeitsweise, sein besonderer „Arbeitsethos“. Organisatorisch habe man die zügige Errichtung von Pro-Eurojust damals dadurch bewerkstelligt, dass einfach ein Flur des Ratsgebäudes abgetrennt und dieser schlauchförmige Raum zum Büro der Behörde gemacht wurde. Die jetzige Form von Eurojust findet ihre Grundlage im Ratsbeschluss vom 28.2.2002 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität.[7] Wasser hob diesbezüglich hervor, dass Eurojust nach dem Beschluss eine eigene Rechtspersönlichkeit besitze (Art. 1) und, obgleich die Einrichtung lediglich über Initiativ- und Vorschlagsrechte verfüge, sich auf einen breit gefächerten Aufgabenbereich stützen könne. Hierzu gehörten nach Art. 3 Abs. 1 die Förderung und Verbesserung der Koordinierung der in den Mitgliedstaaten laufenden Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen, die Verbesserung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit sowie anderweitige Unterstützungsmaßnahmen. In den Zuständigkeitsbereich von Eurojust fielen dabei rein faktisch alle Kriminalitätsbereiche. Eine Beschränkung auf einen bestimmten Straftatenkatalog gebe es mithin nicht.

 

Aufschlussreiches wusste Wasser zudem über das Verhältnis von Eurojust zu den nationalen Behörden zu berichten. Ersuchen von Eurojust, etwa Strafverfolgungsmaßnahmen aufzunehmen, müssten diese zwar keine Folge leisten. Allerdings hätten sie ablehnende Entscheidungen zu begründen. Die politischen Konsequenzen dieses Mechanismus seien nicht zu unterschätzen. Es könne nämlich schnell zu einer Erörterung der entsprechenden Fra­gen im Rat kommen und damit zu einer öffentlichen Diskussion, die viele Mitgliedstaaten nicht wünschten. Anschließend machte Wasser einige Ausführungen zur Umsetzung des Eurojust-Beschlusses ins deutsche Recht. Man sei dabei zweistufig vorgegangen, um ein schnelles Inkrafttreten der neuen Vorschriften zu gewährleisten. Eine Rechtsverordnung vom 2.7.2003 passe das innerstaatliche Recht hinsichtlich der Regelungen zur Rechtspersönlichkeit[8] und der Gewährung von Vorrechten und Immunitäten für den Verwaltungsdirektor und das Personal von Eurojust[9] an. Die sonstigen, wesentlichen Vorgaben seien durch das Eurojust-Gesetz vom 12.5.2004[10] in deutsches Recht implementiert worden. Zur Zeit erfolge aller­dings noch eine Prüfung der Umsetzung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen.

 

An das Ende seines Vortrages stellte Wasser den Appell, Eurojust wirklich in Anspruch zu nehmen. Die Behörde wolle die Arbeit nicht verkomplizieren, sondern erleichtern und gehe deshalb sehr unbürokratisch vor. Der „Servicegedanke“ sei bei Eurojust sehr ausgeprägt: Die Kontaktaufnahme zum deutschen Mitglied könne informell per Telefon, Fax, E-mail oder Post erfolgen. „Vielleicht“ so schloss Wasser, „werden sie ein Fan von Eurojust“.

 

Dr. Tile Milke, StA aus Hamburg und ehemaliger Referendar bei Eurojust, vertiefte anhand verschiedener Beispielsfälle, wie sich die Arbeit bei Eurojust in der Praxis gestaltet. Er bekräftigte dabei insbesondere die Serviceorientierung der Einrichtung. Das Mobiltelefon beschrieb Dr. Milke als das wichtigste Arbeitsmittel der nationalen Mitglieder, mit dessen Hilfe diese 24 Stunden am Tag erreichbar seien. Für die tägliche Dezernatsarbeit eines Staats­anwalts sei insofern von Bedeutung, dass sich Eurojust nicht nur mit Koordinierungsfragen der grenzüberscheitenden Kriminalitätsbekämpfung befasse, sondern auch Rechtsauskünfte geben könne. Viele Anfragen könnten bereits am Telefon beantwortet werden, in den übrigen Fällen würde ein Ansprechpartner vermittelt werden. Diese ausgeprägte Servicefunktion setze sich in Koordinierungsfällen fort.

 

Dr. Milke schilderte dazu einen Fall, in dem sich die italienischen Strafverfolgungsbehörden im Rahmen der Ermittlung gegen einen internationalen Drogenhändlerring an Eurojust wendeten. Sie vermuteten Aktivitäten der kriminellen Vereinigung auch in fünf weiteren europäischen Staaten, gelangten jedoch nicht an die jeweils zuständigen Ermittler. Sie kontaktierten daraufhin das nationale Mitglied Italiens bei Eurojust, das wiederum mit Hilfe seiner Kollegen aus den betreffenden Mitgliedstaaten alle zuständigen nationalen Ermittler an einen gemeinsamen Tisch in Den Haag bringen konnten. Die daraufhin folgenden Gespräche seien allein durch die betreffenden Ermittlungspersonen - durch Unterstützung von Simultanübersetzern - führt worden; die nationalen Mitglieder hätten dagegen nicht an den Beratungen teilgenommen.

 

Ein anschauliches Beispiel für das feinabgestimmte Vorgehen von Eurojust lieferte ein weiterer von Dr. Milke vorgetragener Fall. Deutsche Staatsanwälte ermittelten gegen einen deutschen Politiker wegen Betrugs und anderer Straftaten. Belastendes Beweismaterial sei unter anderem in seinem Ferienhaus auf Grand Canaria vermutet worden. Auf das Ersuchen der deutschen Staatsanwälte organisierte Eurojust daraufhin eine Koordinierungssitzung, an der neben den zuständigen deutschen auch die spanischen Justizbehörden teilgenommen hätten. Schnelles, koordiniertes Handeln sei für den Erfolg der Ermittlungsmaßnahmen entscheidend gewesen: Die Vollziehung der Hausdurchsuchung sollte möglichst zu dem Zeitpunkt gewährleistet sein, zu dem in Deutschland die Immunität aufgehoben wurde. Nach einem ent­sprechenden Bundestagsbeschluss hätten die deutschen Ermittlungsbehörden zum Telefonhörer gegriffen und schon wenige Minuten später hätte der zuständige Richter in Spa­nien den Durchsuchungsbeschluss erlassen. Gleichzeitig wären Bankkonten des Beschuldigten an 25 Orten in vier europäischen Ländern überprüft worden.

 

Weiterführende Informationen zur Eurojust sind über das Internet unter www.eurojust.eu.int einsehbar. Die Homepage des Info-Points Europa findet sich unter www.infopoint-europa.de.

 

Hans Arno Petzold  und Tobias Leder


 

[1] S. dazu auch die Pressemitteilung des OLG vom 24.11.2004. Der Vollzug wurde inzwischen allerdings durch das BVerfG ausgesetzt.

[2] Vgl. den Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. L 190 v. 18.7.2002.

[3] Vgl. hierzu den Rechtsakt des Rates vom 26.7.1995 über die Fertigstellung des Übereinkommens über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamts (Europol-Übereinkommen), ABl. C 316 v. 27.11.1995. Für weiterführende Hinweise vgl. http://www.europol.eu.int (alle zitierten Internetadressen wurden letztmalig aufgerufen am 6.12.2004).

[4] Vgl. dazu auch den Bericht in MHR 3/2002, S. 36. Die Homepage ist unter http://europa.eu.int/comm/anti_fraud/index_de.html einsehbar.

[5] S. Gemeinsame Maßnahme 98/428/JI vom 29.6.1998 - vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union angenommen - zur Einrichtung eines Europäischen Justitiellen Netzes, ABl. L 191 v. 7.7.1998.

[6] Weiterführende Informationen zur polizeilichen und justitiellen Zusammenarbeit in der EU finden sich im Internet unter http://europa.eu.int/scadplus/leg/de/s22004.htm.

[7] ABl. L 63 v. 6.3.2002, S. 1.

[8] Vgl. Art. 1 S. 2 des Eurojust-Beschlusses.

[9] Vgl. Art. 29 Abs. 3 und Art. 30 Abs. 1 des Eurojust-Beschlusses.

[10] BGBl. I 2004, 902. S. dazu auch Esser/Herbold, NJW 2004, 2421.