(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/06, 19) < home RiV >
Leserbriefe
zu „Anstand in finsterer Zeit“
(Günter Bertram, MHR 2/2006, 14; Leserbrief von Helmut Büchel in MHR 3/2006, 7)
Nach mehr als eineinhalb Jahrzehnten im „Ruhestand“, seit langer Zeit also fern der Justiz mitsamt ihren Problemen und Querelen, bedarf es schon schwerer Munition, um mich derart aufzuwühlen, dass ich meine Aktivitäten auf durchaus anderen Gebieten beiseite schiebe und in dieser Sache in die PC-Tasten greife.
Der in dem Leserbrief enthaltene Vorwurf, Herr Bertram verharmlose die Schande der Judenverfolgung, ist angesichts des Gesamtinhalts seines Artikels (und im Hinblick auf seine Person, seine Tätigkeit als Kammervorsitzender in NS-Verfahren und als Autor zahlreicher vielschichtiger und kritischer MHR-Beiträge) derart absurd, dass ich mir eine Entgegnung erspare. Allenfalls könnte man einwenden, das Verhältnis zwischen im Sinne Klemperers positiven und negativen Zitaten sei nicht „ausgewogen“ genug. Doch ich hoffe, heute sind wir über diese Spielart der political correctness mit der Briefwaage, die jede nicht gänzlich harmlose Meinungsäußerung zu einem Balanceakt verformt und Korrekturen wie Ergänzungen von undifferenzierten Ansichten fast unmöglich macht, endlich hinaus.
Nein, in Wallung gebracht hat mich Herr Büchel mit seinem Diktum, die Redaktion der MHR habe durch den Abdruck des Bertram-Artikels „die Grenzen dessen, was in einem solchen Blatt geschrieben und gelesen werden sollte, überschritten“. In mir stiegen Unmut und Widerwille gegen diese Bevormundung, gegen dieses Verlangen nach Selbstzensur, auf. Zugleich wurde eine Fülle von Assoziationen aktiviert. Das reicht von dem Aufkleber („Die in diesem Band enthaltenen Kompositionen von Mendelsohn Bartholdy dürfen nicht öffentlich gespielt werden“) in 1938 erworbenen Klaviernoten über die Unterdrückung der „Entarteten Kunst“ und die Biermann-Ausweisung bis zu Protesten gegen die Aufführung des Films „Die Sünderin“. Wie oft habe ich in den Jahresversammlungen des Hamburgischen Richtervereins über den Mangel an belebenden Kontroversen geseufzt (und mich selbst meiner Passivität geschämt!). Wie lebte ich auf, als in der hiesigen Gemeinde das Thema „Lauter Beifall nach Kirchenkonzerten?“ endlich kontrovers diskutiert wurde.
Ich schweife ab; das Schreckgespenst der loquacitas senilis, der greisenhaften Geschwätzigkeit, dräut. Nur noch dieses: mir, geboren 1927, braucht niemand die Entsetzlichkeit der Judenverfolgung vorzuhalten; und das Gefühl der Schuld, nichts getan, nicht einmal ausreichend nachgefragt und als Luftwaffenhelfer und Soldat die Fortdauer des Zwangsregimes gefördert zu haben, wird mich bis an mein Ende begleiten. Aber ich wehre mich entschieden gegen die Forderung, heiklen, bisher weitgehend tabuisierten, oft als allzu ausnahmslos behandelten Themen dürften keine auch nur im Ansatz relativierenden und differenzierenden Argumente beigefügt werden.
Um mit einer Geschmacklosigkeit zu enden: Hitler liebte offenbar seinen Schäferhund, und Mozart verfasste die (im 19. Jahrhundert meist verschwiegenen) fäkal gesprenkelten Bäslebriefe. Dass nichts und niemand auf dieser Erde gänzlich schwarz oder weiß ist, möge die MHR auch weiterhin drucken – und ich werde es, so es nicht allzu lang(weilend) ausfällt, auch lesen.
Wolfgang Schneider
Büchels Leserbrief zu Günter Bertram kommentiert sich selbst.
In der zugrunde liegenden Sache zitiere ich aus dem mir „zufällig" jetzt bekannt gewordenen Beitrag von Sielemann, „Fragen und Antworten zur ‚Reichskristallnacht' in Hamburg", Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte, 1997, Band 83, Teil 1, 473, 500:
„Was die Verhaftungen für die in Hamburg in gänzlicher Ungewißheit verbliebenen Familien bedeuteten, macht ein Brief deutlich, den die Ehefrau Alice Fraenkel am 20. November an ihren seit Mai 1938 im Gefängnis Fuhlsbüttel inhaftierten Gatten Helmut Fraenkel schrieb. Der Zensor vermerkte, der Brief 'wird nicht ausgehändigt, da er geeignet ist, die Ruhe der Anstalt zu gefährden. Soweit der Inhalt unverfänglich ist, kann er vorgelesen werden. Die rot eingeklammerten Sätze dürfen nicht verlesen werden.' Eben diese Sätze folgen hier:
'Wir sind nun ein Volk ohne Männer. (...) Die Arier nehmen großen Anteil an unserem Schicksal. Sie bringen Blumen, versichern uns ihrer Teilnahme u.[nd] n.[och] v.[ieles] m.[ehr]. Frau Schramm wollte aus Scham auch nicht mehr kommen. Ihre Familie fragte telefonisch an, wie meine Stimmung wäre. Ich kann doch an einem Unschuldigen nicht mein Entsetzen auslassen. Was kann sie dafür? Genau so wenig, wie wir für die schreckliche Mordtat [das Attentat auf vom Rath] [können]. (...)"
Der guten Ordnung halber sei festgehalten, dass Sielemann die These vom "milden Regiment" des Hamburger Gauleiters und Reichsstatthalters Karl Kaufmann widerlegt.
Martin Weise
Erwiderung auf die Stellungnahme der Redaktion
Günter Bertram hat in der MHR 2/2006 eine überaus positive Besprechung eines Buches von Konrad Löw veröffentlicht. Hierzu habe ich einen kurzen Beitrag verfasst, den die MHR als Leserbrief abgedruckt hat, allerdings unter Weglassung meiner Überschrift „Anstand in heutiger Zeit“. Es ist schon sehr ungewöhnlich, dass ein kurzer Leserbrief eine doppelt so lange Stellungnahme der Redaktion hervorruft. Zu den darin angestellten interpretatorischen Bemühungen will ich nicht Stellung nehmen. Zum Zitat aus den Tagebüchern Klemperer nur so viel: Man kann die Wahrheit einer Aussage auch durch ein wörtliches Zitat verfälschen. Mag die Redaktion die Tagebücher lesen. Ich will aber die Frage stellen, ob die Redaktion eigentlich weiß, wen Bertram da den Lesern der MHR empfiehlt.
Konrad Löw ist Autor eines Aufsatzes in der von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebenen Zeitschrift „Deutschland-Archiv“ (2/04), der einen sog. Antisemitismus-Skandal ausgelöst hat. Kritiker und, soweit ich weiß, die gesamte seriöse Presse, sahen in Löws Thesen deutliche antisemitische Tendenzen. Daraufhin distanzierte sich die Bundeszentrale für politische Bildung in einem Rundbrief an alle Abonnenten scharf von dem Artikel und makulierte die restliche Auflage. Bertram hält das in seinem Beitrag für „absurde Kampagnen“. Er ist mit seiner Einschätzung allerdings nicht allein. In einem ausführlichen Artikel nahm die National-Zeitung Konrad Löw in Schutz. Löw gab der National-Zeitung, und zwar keinem geringeren als Gerhard Frey, ein ausführliches Interview, das dort in der Ausgabe 32/04 abgedruckt wurde.
Einen Gleichgesinnten fand Löw außerdem in Martin Hohmann, dessen am 03.10.2003 gehaltenen Rede („Juden als Tätervolk“), ihm gleichfalls von vielen Seiten den Vorwurf des Antisemitismus und der Verharmlosung des Holocaust einbrachte und schließlich zu seinem Ausschluss aus der CDU führte. Gemeinsam mit Hohmann und dem aus ähnlichen Gründen in den Ruhestand versetzten General Günzel wollte Löw, so berichtete die National-Zeitung, in einer Veranstaltung im Münchener Löwenbräukeller auftreten. Nachdem dem Vermieter der Hintergrund bekannt wurde, kündigte er den Saal. Die Veranstaltung fand dann in den Räumen einer Burschenschaft statt.
Schon vorher war Konrad Löw wegen anderer Veröffentlichungen in die Kritik der katholischen Kirche geraten, weil er unter der Maske eines aufrechten Katholiken revisionistische Geschichtspolitik betreibe. Auch wurden ihm Kontakte zur Moon-Sekte und seine Soldarisierung mit der als rechtskonservativ eingestuften Zeitschrift „Junge Freiheit“ vorgeworfen. Wie die National-Zeitung berichtete, hatte die „Welt“ damals die Hoffnung geäußert, dass Löws Artikel dem Vergessen anheim fallen möge. Bertram öffnet die Büchse der Pandora wieder. Man kann der Richterschaft in Hamburg nur wünschen, dass dieser Fehlgriff nicht öffentlich wird.
Ich wiederhole meine Frage: Warum druckt der Hamburgische Richterverein so etwas in seinen Mitteilungen?
Helmut Büchel
Statt eines Briefes: Anmerkungen zu dem vorstehenden Leserbrief des Kollegen Dr. Helmut Büchel
Auf eine Diskussion über den Inhalt von Leserbriefen oder den angemessenen Umfang einer redaktionellen Replik will ich mich nicht einlassen; mir ist es jedoch wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Mitteilungen des Hamburgischen Richtervereins stets ein Forum für vielfältige, unterschiedlichste Meinungsäußerungen sein wollten und auch waren und dass wir nicht gedenken, daran das Geringste zu ändern. Der ebenfalls in diesem Heft zum Abdruck gebrachte Leserbrief des Kollegen Schneider stellt gerade diesen Gesichtspunkt dankenswerter Weise deutlich heraus. Eben deshalb finden unsere Mitteilungen auch mehr allgemeines Interesse als Verbandsnachrichten, die nur vom Vereinsgeschehen handeln.
Die Reaktion des Kollegen Büchel auf die Stellungnahme des Kollegen Hirth ist für mich verblüffend, denn die Stellungnahme hatte den offensichtlichen Sinn, die einseitige und textlich nicht belegte Beurteilung des Kollegen Büchel in einen gehörigen Rahmen und Zusammenhang zu stellen. Jeder Leser mag sich so, auch anhand weitergehender Lektüre, ein eigenes Urteil über die Bewertung des Kollegen Büchel einerseits und den Text des Kollegen Bertram andererseits bilden.
Die in den beiden Büchel-Briefen am Ende gestellte Frage ist indessen einfach zu beantworten: Die Mitteilungen des Hamburgischen Richtervereins geben, wie auch der Abdruck der Leserbriefe zeigt, Raum für ein breites Meinungsspektrum.
Nur dem vom Kollegen Büchel deutlich angesprochenen Vorwurf, die Mitteilungen gäben sich dafür her, antisemitische oder nationalistische Ansichten zu verbreiten, ist mit Entschiedenheit zu widersprechen. Er ist allerdings zu absurd und abwegig, um über ihn ein weiteres Wort zu verlieren.
Inga Schmidt-Syaßen