(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 1/12, 14) < home RiV >

AD CALENDAS GRAECAS ?

Als in der ersten Hälfte der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts Strafverfahren vor die hamburgischen Gerichte kamen, in denen in größerer Zahl Türken als Angeklagte oder Zeugen eine Rolle spielten, fiel mir – damals Vorsitzender einer allgemeinen Strafabteilung des Amtsgerichts Hamburg – auf, dass bei unverhältnismäßig vielen der Beteiligten als Tag der Geburt der 1. Januar oder der 1. Juli eines Jahres angegeben war. Als Grund für diese Auffälligkeit erklärte mir die damals bevorzugt als Dolmetscherin für die türkische Sprache und mehrere ihrer Dialekte herangezogene, hochgebildete und weltgewandte Frau Mahpare Krause, Ehefrau des als Gerichtsgutachter ebenfalls sehr gesuchten Psychiaters und Sexualforschers Professor Dr. med. Werner Krause, folgendes:

In den weit verstreut liegenden Dörfern Ost-Anatoliens lebten die Menschen, durchweg Analphabeten, noch lange ohne Uhren und Kalender nur nach den Jahreszeiten, die durch das Wetter und durch die Dauer der Tageshelligkeit bestimmt waren, und nach den vom Muezzin ausgerufenen religiösen Feiertagen. Örtliche Behörden, bei denen die Geburt eines Kindes, eine Heirat oder das Sterben eines Bewohners hätten registriert werden können, gab es dort nicht. Nur einmal in jedem Halbjahr zog ein Beamter aus der fernen Provinzhauptstadt über die Dörfer und registrierte alle Personenstandsfälle, die sich nach seinem letzten Besuch im Dorf ereignet hatten. Alle Ereignisse, deren tatsächliches Datum nicht näher bekannt oder feststellbar war, datierte er auf den ersten Tag des Halbjahres der Registrierung.

An diese schöne Geschichte muss ich fast jedes Mal denken, wenn ich in unsren MHR den Beitrag über die Jubiläen der Vereinsmitgliedschaft lese und dort schon länger dazugehörende Mitglieder aufgeführt sind. Besonders eindrucksvoll in dieser Hinsicht ist der Beitrag „JUBILÄEN“ auf Seite 51 der letzten MHR Nr. 4/2011 vom 15.12.2011. Dort sind ausnahmslos alle Jubilare mit 20 und mehr durch fünf teilbaren Mitgliedschaftsjahren, immerhin 35 verdiente Kollegen, als am 1. Januar eines Jahres eingetreten aufgeführt – radikaler als bei dem ostanatolischen Standesbeamten, der wenigstens Halbjahre berücksichtigte. Das kann doch gar nicht sein, ist doch der 1. Januar bei uns gesetzlicher Feiertag. An ihm nimmt der Bürgermeister Hamburgs die Glückwünsche seiner Mitbürger für das neue Jahr entgegen, gewiss aber nicht der Richterverein neue Mitglieder auf.

Die beschriebene Auffälligkeit in der Jubiläumsstatistik unseres Vereins kann ich für die Eintrittsjahre bis etwa 1970 vielleicht erklären. Ich war in dem Jahr, das in den Verlautbarungen der MHR als mein Eintrittsjahr – mit dem Eintrittsdatum 01.01. – geführt wird, schon im Vorstand und dort vorgesehen als Nachfolger für den vor dem Eintritt in den Ruhestand stehenden langjährigen Kassenwart unseres Vereins, des Amtsgerichtsdirektors Dr. Ohlrogge (vgl. die Niederschrift über die Versammlung zur Wiedererrichtung des Hamburgischen Richtervereins in MHR 4/2011, Seite 7/8). Bei der Einarbeitung durch ihn stellte ich fest, dass es weder eine Mitgliederliste noch –kartei gab, die außer Namen und Titel jedes Mitglieds weitere Daten, z.B. das Datum des Eintritts, enthielten. Jubiläen der Vereinsmitgliedschaft waren noch kein Thema. Seit der Wiedererrichtung des Vereins waren noch nicht einmal 20 Jahre vergangen. Über die Zeit davor wurde ungern und daher wenig gesprochen. Die Beiträge säumiger Mitglieder erhob Dr. Ohlrogge in persönlicher Ansprache des betreffenden Mitglieds, zu diesem Zweck stets mit einer Hand voll Namenszettel in der Tasche, sah davon aber auch ohne Aufhebens ab, wenn er wusste, dass es bei einem Mitglied zu Hause gerade unverschuldet klamm zuging. Er kannte fast alle Kolleginnen (damals noch selten) und Kollegen persönlich, die jüngeren schon deshalb, weil sie während der noch 3 ½ jährigen Referendarzeit entweder eine der von ihm geleiteten Arbeitsgemeinschaften besucht oder in der Ausbildungsstation „Großes Amtsgericht“ eine der noch zahlreichen Wirtschaftsstrafabteilungen seines Dezernats durchlaufen hatten. Meine Vorarbeiten zur Anfertigung einer Mitgliederkartei, die diesen Namen verdient hätte, endeten mit dem Jahr 1968, als ich zu Mitwirkung an der Strafvollzugsreform zur Justizbehörde abgeordnet wurde und deshalb mein Amt im Vorstand des Richtervereins niederlegte.

Die geschilderten Umstände erklären die heutige Unsicherheit in der Datierung der tatsächlichen Eintritte bis, wie gesagt, etwa 1970. Irgendwann danach muss es aber doch ein Festhalten der Daten auch der Eintritte, wenigstens der neuen Mitglieder, gegeben haben, und doch wohl kaum erst 1991 oder später. Ich jedenfalls finde, wir sollten nicht noch länger, vielleicht gar ad calendas Graecas, unter der Überschrift „Jubiläen“ in unserem sonst so hervorragenden Mitteilungsblatt mit möglicherweise unzutreffenden Zahlen operieren. Die Gefahr besteht, weil ja auch wir älteren Mitglieder immer älter werden.

Befragen wir doch einfach diejenigen von uns, die mit dem regelmäßig falschen Eintrittsdatum 01.01. geführt werden, ob sie sich an den Zeitpunkt ihres Beitritts zum Richterverein noch erinnern. Steht so vielleicht nicht der Tag, sondern – wie bei mir – nur der Monat oder ein anderer Zeitraum des tatsächlichen Eintritts fest, mag dieser dann auf den ersten oder einen anderen nahe liegenden Tag dieses Zeitraums datiert werden. Ich beispielsweise, zum Gerichtsassessor ernannt mit Wirkung vom 02.04.1962 – der 01.04. war in jenem Jahr ein Sonntag – bin auf dringenden Wunsch meines damaligen Strafkammervorsitzenden Dr. Zieger, dem die Stärkung der richterlichen Standesvertretung Herzenssache war, „ja noch vor den Gerichtsferien“ dem Richterverein beigetreten, also in der ersten Hälfte des Monats Juli 1962. Als Eintrittsdatum kommen somit der 01.07. oder der 15.07.1962 in Betracht.

Geschrieben – tatsächlich – am 01.01.2012

Jens Donandt

Anmerkung der Redaktion

Liebe Leserinnen und Leser,

auf den wertvollen Hinweis von Herrn Donandt ist Frau Hamann von unserer Geschäftsstelle gleich tätig geworden und hat die Eintrittsdaten einmal überprüft. Das Ergebnis ist, dass zwar etliche Eintritte tatsächlich auf den 01.01. eines Jahres verzeichnet sind. Jedoch sind in den entsprechenden Jahren zumeist auch Eintritte an anderen Daten notiert. In jüngster Zeit haben auch Kollegen gelegentlich extra um einen Eintritt zum 01.01. eines Jahres gebeten. Insgesamt lässt sich nicht erkennen, dass Eintrittsdaten aufgrund der im Artikel beschriebenen Umstände in größerem Stil falsch notiert worden sein könnten bzw. auch zum jetzigen Zeitpunkt noch falsch vermerkt sind. Jedoch lassen sich Irrtümer nie vermeiden. Wenn Sie also Bedenken haben, dass Ihr Mitgliedsdatum richtig notiert ist, zögern Sie bitte nicht, dies über die Geschäftsstelle des Richtervereins zu klären.

Red.