(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/01) < home RiV >
Klares Signal

Genau so wenig, wie der als Vertreter der hamburgischen Richter aufgetretene OLG-Präsident seine Worte an den neuen Behördenchef als "Drohung" verstanden wissen will, ist die folgende kurze Betrachtung der Rede als Kritik oder gar Distanzierung gegenüber einer unberechtigten Vereinnahmung gemeint.

Im Mittelpunkt des Interesses steht, welche Lehren die Richterschaft aus dieser Begrüßung des Senators für das eigene Erinnerungsvermögen und für ihr künftiges Verhalten ziehen kann.

Wer nicht zu dem Kreis der Eingeweihten um das mit der Rede markierte "Machtzentrum Sievekingplatz" bzw. nicht einmal zu dem weiteren Kreis der vermeintlich Eingeweihten gehört, für den ist nämlich so manche Darstellung überraschend. Ist es kreative Interpretation vergangenen Tuns - und Unterlassens - oder, mit dem Ende der Ära einer durch die gemeinsame Parteizugehörigkeit auferlegten Schweigsamkeit, die endlich vollständige Wahrheit? Jedenfalls erfährt die Öffentlichkeit nun, daß die Präsidenten schon immer auf Seiten der Richterschaft gestanden haben. Wahrnehmungen, wonach ihre Mehrzahl sich in der Behörde regelmäßig von ihren unbotmäßigen, arrogant-weltfremden Richtern distanzieren mußte, können danach nur falsch sein.

Nach neuer Lesart war insbesondere der "Richteraufstand" vom Sommer2 ein Ausdruck der unwiderstehlichen Macht der Gemeinschaft vom "Platz" gegenüber der Behörde. Zugleich war die seinerzeitige Senatorin die ganze Zeit "eine von uns"3 und ihre Amtstätigkeit ein "unglaublicher" Erfolg. Das sind wertvolle Hinweise, bot sich das Protestgeschehen dem Außenstehenden doch eher als berechtigter Ausdruck massiver Enttäuschung der darob sensationell einmütigen Richter des Landgerichts dar, die sich von aller Welt, begonnen bei den Gerichtsleitungen4, mit ihrer Überlast allein gelassen sahen. Wir lernen noch mehr: Die "Modernisierung"5 ist bei geläuterter Betrachtung genauso wenig wie ihr Verhältnis zu den Schwierigkeiten des Gerichtsalltags6 ein Problem; sie hat vielmehr allen schöne Erfolge beschert. Der Takt gebietet es hier allerdings, als Beleg nur das Gerichtsmanagement und die De- und Rezentralisierung einer Stabsstelle zu nennen. Der eigentliche Gewinn für die Präsidenten, ihre gemeinhin als Budgetierung fehlbezeichnete Alleinherrschaft über die dezentral zugewiesenen Haushaltsmittel, wird richtigerweise genauso verschwiegen wie deren rechtsstaatlich hoher, aber von anderen zu zahlender Preis in Form des Controlling.

Positiv zu vermerken ist auch, daß Hamburgs oberster Richter - anders als möglicherweise der Strafvollzug, in dem der Aufruhr in den Knästen in Aussicht gestellt wird7, anders als der Polizist, der die 110-Anruferin nur noch an Schill verweist8 und anders als die Führungsebene der BAGS9 dem nachgeordneten Bereich das klare Signal gibt: Die Zusammenarbeit mit der neuen Behördenleitung braucht man nicht sogleich zu verweigern. Man kann ihr, unter der Bedingung, daß sie nichts unternimmt, was "uns" nicht passen würde, eine friedliche Koexistenz anbieten. Das zeigt ein sehr gesundes, der Rechtsprechungsfunktion zugetanes Verständnis der Gewaltenteilung10 und der Bedeutung von Parlamentswahlen. Ein wenig mag allerdings verunsichern, daß der Redner nicht zu erkennen gegeben hat, ob dieses Verständnis die "Halbwertzeit" der jetzigen Regierung überdauern soll. Die der Orientierung bedürftige neue Behördenleitung jedenfalls weiß nun, daß sie nur alles beim Alten - und bei den Alten - lassen muß, um die Zeit bis zu ihrer Abwahl friedlich zu überstehen. Immerhin hat sie so die Chance, die Wärme eines gemeinsamen Schmauses bzw. Trunkes (vorzugsweise in einem Seminarhotel) zu erleben.

Draußen bleiben muß demgegenüber, wer nicht anerkennt, daß allein die Gerichtsverwaltungen für die allgemeine Wohlfahrt stehen - so, wie es dummerweise offenbar der Personalrat getan hat, der in der Rede als einziger offene Prügel bezieht11.

Im Ernst: Die hamburgische Richterschaft ist bunter, das relevante Meinungsspektrum breiter, die justizpolitische Diskussion komplexer, das bisherige Modernisierungskonzept unseriöser und die Geometrie der Beziehungen Behörde - Präsidenten - Richter anders, als der OLG-Präsident bei seiner innigen Verabschiedung des alten und der machtbetonten Begrüßung des neuen Präses sein Publikum hat glauben machen wollen.

Michael Bertram



2  vgl. MHR 2/01, S. 2 und 5 ff., wonach einzig am Amtsgericht die Protestnote von der Führungsebene stammte, sowie www.richterverein.de
3  vgl. u.a. MHR 4/99, S. 5 - 8
4  Die Staatsanwälte haben dies für ihren Bereich ausdrücklich festgestellt, vgl. die Erklärung bei www.richterverein.de
5  was immer das sein mag, vgl. u.a. MHR 4/98, S. 17 f.; MHR 1/99, S. 26; MHR 1/01, S. 22
6  vgl. u.a. MHR 3/00, S. 19, MHR 2/01, S. 22
7  vgl. WELT v. 24.10.2001
8  vgl. HA v. 8.11.2001
9  vgl. WELT v. 6.11.2001
10  u.U. überholt deshalb: MHR 3/00, S. 28
11  Unverständige gibt es allerdings nicht nur dort, vgl. u.a. MHR 3/01, S. 18