Dr. Peschel-Gutzeit
Die Senatorin verwies auf die
schlechte Haushaltslage, stellte die Vorzüge globaler Steuerung gegenüber
Einzelsteuerung dar (Stärkung dezentraler Einheiten) und propagierte
die Pilotierung in Einzelschritten. Die dezentrale Mittelverwaltung sei
für große Teile der Sach- und Fachausgaben bereits eingeführt.
Bis 1 % der nichtbenötigten Personalausgaben dürften für
Sachausgaben verwendet werden. Die Dezentralisierung habe bei der Justizbehörde
zu einer Verschlankung um 47 Personen geführt. Das VG habe durch Nachverhandlungen
zum Mietvertrag eine deutliche Kostensenkung erreicht und dürfe 50
% des Vorteils behalten zur PC-Vernetzung.
Schließlich konnte die Senatorin verkünden, daß sie das Budgetantragsrecht der Gerichte bei gesondertem Gerichtsbudget in der letzten Woche auf die Tagesordnung der Justizministerkonferenz gebracht habe, daß dies dort aber auf geteiltes Echo gestoßen sei.
Voss
Der Richterbundsvorsitzende
trug seine in DRiZ 98, 379 dargelegten Argumente vor und paßte sie
- wo sich die Gelegenheit bot - den Hamburger Verhältnissen an.
Modernisierung der Justiz sei notwendig. Die Richter dürften sich hinter ihrer Unabhängigkeit nicht verstecken, sondern müßten aktiv an der Erneuerung mitwirken, damit Gefahren für die richterliche Unabhängigkeit gar nicht erst entstünden. Zwar wollten die NSM-Befürworter die Unabhängigkeit nicht beeinträchtigen; nicht jede Steuerung durch die Verwaltung sei schon ein Eingriff in die Unabhängigkeit. Es müsse aber institutionell garantiert werden, daß ein Eingriff auch in Zukunft nicht geschehe.
Immer wieder bezog sich Voss auf Hoffmann-Riem, stimmt ihm oberflächlich zunächst zu, um bei der Analyse dann seine Kritik zu formulieren. So beantworte die Forderung nach einer "Modernisierung" der richterlichen Unabhängigkeit nicht die Frage, wie diese Unabhängigkeit denn sonst aussehen solle. Mißbrauch der Unabhängigkeit sei natürlich zu verurteilen. Dies ändere aber nichts daran, daß die Unabhängigkeit in ihrer jetzigen Ausgestaltung nicht disponibel sei.
Bei den Bemessungsgrundlagen für die Budgetzuteilung dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, daß auch mit einzelnen scheinbar teuren "Produkten" der Justiz Rechtssicherheit und -frieden geschaffen werde. Wer demgegenüber nur Kostensenkung als Hauptziel habe, bewirke viel höhere gesellschaftliche Folgekosten.
Wenn die Verwaltung die Höhe der zugeteilten Mittel davon abhängig machen wolle, ob mit diesen Mitteln gute Produkte hergestellt werden, frage sich, wie die Qualität richterlicher Arbeit denn bewertet werden solle (ein Punkt, der im Publikum verbale Reaktionen auslöste und von dem auch Rapp sagte, er wolle dies nicht mit der Justizbehörde, sondern allenfalls unter Kollegen erörtern). Unabdingbar sei es deshalb - so Voss - den Gerichten mehr Selbstverwaltung zu geben. Insbesondere an den "Schnittstellen" seien neue Gremien mit richterlicher Unabhängigkeit zu schaffen. Auch könnte die Zuständigkeit des Gerichtspräsidiums erweitert werden und ein Budgetantragsrecht der Gerichte eingeführt werden. Der Selbstverwaltung zuwiderlaufen würde es, wenn ein Gerichtsmanager in der Form eingeführt würde, daß er nicht dem Gerichtspräsidenten, sondern der Justizsenatorin unterstellt ist (wie es in der Hamburger Bürgerschaft beantragt ist, vergleiche MHR 3/98, 14; Anm. des Verfassers).
Eine weitere Gefahr sei es, daß die Kollegen Kostensenkung als Primat verinnerlichen, wenn dies als Beurteilungskriterium so verwendet würde, wie heute schon die Erledigungsquote als Beurteilungskriterium zulässig sei. Auch die ausschließlich auf die Geeignetheit ausgerichtete Personalauswahl werde unterlaufen, wenn aus Kostengründen auf Geschlecht, Alter und Familienstand hintergründig geachtet würde (zu den Planungen des Hamburger Senats, die einzelnen Dienststellen an den Lasten der Versorgungsbezüge zu beteiligen vgl. MHR 1/97, 13; Anm. des Verfassers).
Den auch in MHR 2/98, 30 schon behandelten Aufsatz des Referendars von Hoffmann-Riem, Eifert, zerpflückte Voss. Insbesondere warnte er vor einem gerichtsinternen Wettbewerb in der Art, wie ihn Eifert propagiert. Auch aus dem Publikum wurde beschrieben, welche unsinnigen Folgen ein nicht in erster Linie an den gesetzlichen Aufgaben orientierter Wettbewerb haben würde.
Kritik formulierte Voss an bestimmten Hamburger Gefahren, die sich aus dem Entwurf des Controlling-Handbuchs ergäben. Dies betreffe insbesondere:
Mose:
Der Präsidialrichter des
Landgerichts verwies auf seine praktische Erfahrung mit der noch nicht
output-orientierten dezentralen Mittelverwaltung. Die Selbstverwaltung
sei dadurch gestärkt worden. Früher quälende Entscheidungsprozesse
in Personalfragen mit der Justizbehörde hätten sich deutlich
erleichtert. Die Entscheidungsgrundlagen seien objektiver und transparenter
geworden. Das verbessere auch die Position gegenüber dem Haushaltsgesetzgeber
(das bestätigte im anschließenden Senatsempfang die Justizsenatorin
unter Hinweis auf die bewilligten Mittel für das Insolvenzgericht).
Kostenfragen seien wichtig, aber nicht beherrschend. Ein "Runterbrechen"
der Budgetierung auf den Spruchkörper sei nicht beabsichtigt.
Stolle:
Die Volkswirtin aus der Justizbehörde
versuchte, die Angst vor dem gläsernen Richter zu nehmen. Auch bislang
gebe es schon Statistiken, die auf den einzelnen Richter "runtergebrochen"
sind oder werden können. Die im neuen Controlling zu erhebenden Daten
seien weniger "gefährlich" als die alten Daten.
Die Steuerung setze nicht am
Ergebnis richterlicher Tätigkeit, sondern bei der Art und Weise der
Leistungserbringung an.
Wagner:
Der Richter am VG Hamburg vertrat
auf dem Podium den Part der Kritiker. Die Kosten- und Leistungsrechnung
sei teuer in der Durchführung (auch Rapp bestätigte, daß
für die Erhebung und Auswertung hochdetaillierter Daten zuwenig Geld
und Personal vorhanden sei). Controlling sei zwar nicht nur Kontrolle,
aber auch Kontrolle, und zwar mit verhaltenslenkender Wirkung. Dies verstoße
gegen die Gewaltenteilung und gegen die richterliche Unabhängigkeit.
Würde das NSM so auf die Justiz angepaßt, daß die verhaltenslenkende Wirkung ausgeschlossen wird, so wäre der Rest des NSM wertlos. Es gebe hinreichende Alternativen zum kritisierten Modell: dezentrale Mittelverwaltung (bereits erfolgt), Flexibilisierung des Haushaltsrechts (bereits erfolgt), Kostentransparenz ohne Außensteuerung, Ausbau der Geschäftsverteilungspläne, Zusammenlegung von Gerichtsbarkeiten.
Schönfelder:
Der Projektleiter von "moBil2"
beim Senatsamt für Bezirksangelegenheiten (vormals im Projekt ProVI
der Finanzbehörde) nahm zunächst Stellung zur Kritik, die Kosten-
und Leistungsrechnung (KLR) berücksichtige nicht die unmeßbaren
übergeordneten Folgewirkungen guter Leistungen der Justiz. Er verwies
auf die Privatwirtschaft, die neben der KLR auch andere Faktoren berücksichtige
wie die Zufriedenheit von Kunden und Mitarbeitern und den Unternehmensbeitrag
zur Gesellschaft.
Die Qualitätskontrolle
sei zentral. Dies könne und müsse die Justiz selber machen.
Keiner wolle den gläsernen
Richter. Dennoch sei es eine Schlüsselfrage, wer welche Informationen
bekomme (Aggregation).
Diskussion:
Die kritischen Stimmen aus
dem Publikum überwogen deutlich. Die Ängste vor Beeinträchtigung
der richterlichen Unabhängigkeit wirkten nicht vorgeschoben oder als
Ausdruck von Mißbrauch, sondern waren zumindest diskussionswürdig
und oftmals mit Beispielen und Belegen untermauert. Aus dem Publikum wurden
Passagen aus Texten der Justizbehörde zitiert, die einen Willen zur
direkten Einflußnahme auf Prozesse zeigten. Vom Podium wurden diese
Textstellen als mißverständlich und überarbeitungsbedürftig
eingestuft.
Wolfgang Hirth